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Marc Bühlmann: «Ein Bundesrat muss Kompromisse machen»

Feusi Fédéral, Ep. 75

Der Berner Politikwissenschaftler über die Bundesratswahlen, die «Tickets» der Parteien und den nahenden Wahlkampf – und warum die Langsamkeit des politischen Systems der Schweiz auf lange Sicht ein Vorteil darstellt.

«Heute geht es nach einem Rücktritt nur wenige Minuten, und schon redet man vom Kandidatenkarusell», sagt Marc Bühlmann. «Diese Geschwindigkeit entspricht nicht unserem politischen System.» Das sei früher anders gewesen. Es habe auch keine «Bundesratstickets» gegeben. Vielmehr habe sich in den Wochen vor einer Wahl langsam herauskristallisiert, wer in Frage komme. «Dass Parteien mit Vorschlägen kommen, das ist eher etwas Neueres.»

Und trotz des zunehmenden Tempos bleibe das System bedächtig. «Das langsame System ist zum Glück nach wie vor sehr stark. Egal, was Parteien oder Medien veranstalten, das System kümmert sich nicht um die Aktualität.» Die Bundesratswahl werde vermutlich unspektakulär, aber alles darum herum müsse spektakulär sein, für die Medien, die Parteien und das Publikum.

Als Partei möchte man zwar einen Bundesrat, der auf Parteilinie sei, sagt Bühlmann. In der Regierung bringe das aber nichts, weil es eine Kollegialregierung sei. «Es muss eine Person sein, die über den eigenen Schatten springen kann – und das weiss die Bundesversammlung relativ gut. Und trotzdem sagen die Parteien: wir entscheiden, wer da reinkommt.»

Die Bundesversammlung sei nicht gezwungen, jemandem vom Ticket der SP zu nehmen. Doch ein Jahr vor den Wahlen wolle niemand eine solche Aktion durchführen. «Ich gehe davon aus, dass jemand von den Tickets gewählt wird und die Parteien so vorausschauend sind, jemanden aufzustellen, der wählbar ist.»

Auch wenn gerade die Pol-Parteien SP und SVP gerne einen «Hardliner» in der Regierung hätten, der Bundesrat habe vor allem eine Verwaltungsfunktion, sagt Bühlmann. «Es ist ein Gremium, das um Kompromisse ringen muss. Das ist auf lange Sicht wieder ein Vorteil.»

Ist das Konkordanzsystem unter Stress, weil die Grünen und die Grünliberalen nicht im Bundesrat sind? «Konkordanz ist wie eine Käseglocke, da sind alle darunter, aber es stinkt gewaltig, wenn man nicht ab und zu lüftet», findet Bühlmann. In der Realität müsse der Bundesrat auch die Grünen und Grünliberalen berücksichtigen, selbst wenn sie nicht in der Regierung vertreten seien.

Bühlmann verteidigt die Langsamkeit der Politik in der Schweiz. «Wenn man Veränderungen sofort will, dann muss man die Gesellschaft ausblenden, dann gehen wir Richtung Diktatur.» Die Alternative sei, die Gesellschaft mitzunehmen. Das entspreche mehr der Grundidee von Demokratie. «Gesellschaftliche Veränderungen sind aber langsam, diese Langsamkeit, die wir in unserem System abbilden, ist ein Vorteil.» Das System erzwinge einen dauernden Dialog zwischen Politik und Gesellschaft. Bühlmann sagt dies sogar, wenn seine Studierenden auf den Klimawandel verweisen.

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