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Absolute Wahrheitsansprüche sind nicht die Gegner sondern die Grundlage von Offenheit und Toleranz

Geht es um den Erhalt und die Verteidigung einer toleranten Gesellschaft, sind Konzepte wie Kulturrelativismus destruktiv. Unabdingbar ist das Bekenntnis zu den universalen Massstäben des Humanen.

Giuseppe Gracia, Nzz.ch, 05.07.2023

In Westeuropa und den USA ist der Kulturrelativismus seit Jahrzehnten in Mode, sei es an den Akademien, in den Medien oder in der Politik. Damit verbunden ist ein Relativismus, der jeder Kultur ihre Standards zugesteht. Das bedeutet nicht nur die Negation universaler Massstäbe, damit ist auch die Vorstellung verbunden, dass wir nicht das Recht haben, andere Kulturen zu bewerten. Das wäre Imperialismus oder Rassismus.

Die Negation universaler Massstäbe bekommt durch den Posthumanismus zusätzlich Aufwind. Für diese Bewegung sind Menschenrechte nur eine Zwischenstation in der Geschichte. In der posthumanistischen Erzählung ist die Epoche des Humanismus und der natürlichen Evolution zu Ende gekommen, und die Zeit der Techno-Evolution ist angebrochen: eine neue, digital gesteuerte Ära der Perfektionierung und Verschmelzung von Mensch und Maschine, natürlicher und künstlicher Intelligenz, Bewusstsein und globalem Datenstrom.

Unabhängig von dieser technizistischen Vision postulieren Denker wie Peter Singer seit einigen Jahren ihre eigene Relativierung der Menschenrechte: Die Zugehörigkeit zur Spezies Mensch soll nicht mehr eine unantastbare Würde verleihen, sondern die Würde soll neu abhängig gemacht werden von Bewusstsein, Schmerzempfinden und anderen, von der Gesellschaft oder von Experten zugewiesenen Merkmalen. Menschen im Koma sollen zum Beispiel keine Menschenrechte mehr haben, dafür jedoch intelligente Delphine oder Affen.

Gegen den Kulturrelativismus gibt es gute Einwände, bereits auf der formallogischen Ebene: Die Idee, dass alle Kulturen relativ seien und die darin enthaltenen Normen nur ihre eigene, innere Gültigkeit haben dürften, so dass kein Kulturraum einen anderen beurteilen könne, weil es keine kulturübergreifenden Normen gebe, stellt selber eine kulturübergreifende Norm dar. Denn diese Idee soll ja für alle Kulturen gelten.

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