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Was ist der freie Markt?

Murray N. Rothbard, Ph.D.

Murray Newton Rothbard (1926–1995) war ein Wirtschaftswissenschaftler, Intellektueller und Universalgelehrter, der wichtige Beiträge zur Ökonomie, politischen Philosophie (insbesondere Libertarismus), Wirtschaftsgeschichte und Rechtstheorie leistete. Er entwickelte und erweiterte die Österreichische Schule der Nationalökonomie auf der Grundlage der früheren Pionierarbeiten von Ludwig von Mises, Ph.D.

„Freier Markt“ ist ein Überbegriff für die Summe von Tauschvorgängen, die in der Gesellschaft stattfinden. Jeder Austausch ist eine freiwillige Vereinbarung zwischen zwei Personen, zwischen Gruppen oder ihren Vertretern. Die Beteiligten tauschen wirtschaftliche Güter aus, entweder materielle Gegenstände oder immaterielle Dienstleistungen.

Wenn ich also eine Zeitung von einem Zeitungshändler für fünfzig Cent kaufe, tauschen der Zeitungshändler und ich zwei Güter: Ich gebe ihm die fünfzig Cent und der Zeitungshändler gibt mir die Zeitung. Oder wenn ich für ein Unternehmen arbeite, tausche ich meine Arbeitsleistung in gegenseitigem Einvernehmen gegen ein monetäres Gehalt ein; in diesem Fall treffe ich die Vereinbarung mit einem Mitarbeiter des Unternehmens, der die Befugnis hat, mich einzustellen, also einem Vertreter.

Beide Parteien lassen sich auf den Tausch ein, weil sie sich einen Nutzen davon versprechen. Hat sich diese Erwartung als richtig herausgestellt, wird der Tausch wiederholt. Hat sie sich für eine oder beide Parteien als falsch erwiesen, wird der Tausch in Zukunft von einer oder beiden Seiten abgelehnt. Der Handel bzw. Tausch wird gerade deshalb betrieben, weil beide Parteien davon profitieren; würden sie nicht erwarten, dass sie davon profitieren, würden sie dem Tausch nicht zustimmen.

Diese einfache Argumentation widerlegt das Argument gegen den Freihandel, das für die „merkantilistische“ Periode im Europa des 16. bis 18. Jahrhunderts typisch war und immer wieder vom berühmten französischen Essayisten Montaigne vorgebracht wurde. Die Merkantilisten argumentierten, dass beim Tausch eine Partei nur dann profitieren kann, wenn er auf Kosten der anderen Partei geht. Bei jeder Transaktion gäbe es demgemäß einen Gewinner und einen Verlierer, einen „Ausbeuter“ und einen „Ausgebeuteten“. Dass es sich dabei um einen Trugschluss handelt, ist sofort erkennbar: Die Bereitschaft und das große Bestreben zum Handel bedeutet, dass beide Parteien davon profitieren. Im Jargon der modernen Spieltheorie ist der Handel eine Win-win-Situation, also ein „Positivsummenspiel“ und kein „Nullsummenspiel“ oder „Negativsummenspiel“.

Wie können beide Parteien von einem Tausch profitieren? Jeder schätzt die beiden Waren oder Dienstleistungen unterschiedlich ein und diese Unterschiede bilden den Rahmen für einen Austausch. Ich zum Beispiel habe Geld in der Tasche, aber keine Zeitung; der Zeitungshändler hingegen hat einen Stapel Zeitungen, möchte aber Geld dafür bekommen. Und so finden wir zueinander und machen ein Geschäft.

Zwei Faktoren bestimmen die Bedingungen jeder Vereinbarung: die Bewertung des Tauschgutes durch die Beteiligten und deren Verhandlungsgeschick. Wie viele Cent gegen eine Zeitung getauscht werden oder wie viele Mickey-Mantle-Baseballkarten gegen eine von Babe Ruth, hängt von den Beteiligten am Zeitungsmarkt oder am Baseballkartenmarkt ab – von ihrer Bewertung der Güter im Vergleich zu anderen Gütern, die sie dafür eintauschen könnten. Diese Bewertungen werden als „Preise“ bezeichnet. In den beiden Beispielen erfolgt die „Bepreisung“ von Zeitungen in Form von Geld und die von Babe-Ruth-Baseballkarten in Form von Mickey-Mantles-Karten. Die Preise werden letztlich dadurch bestimmt, wie viele Zeitungen oder Baseball-Karten auf dem Markt verfügbar sind und wie die Käufer und Verkäufer sie bewerten, also durch Angebot und Nachfrage.

Steigt der Wert eines Gutes in den Augen der Käufer, so erhöht sich die Nachfrage. Es wird mehr Geld dafür geboten und der Preis steigt. Das Gegenteil ist der Fall, wenn der Wert und damit die Nachfrage nach dem Gut sinkt. Steigt das Angebot, weil die Käufer das Gut niedriger bewerten oder es weniger stark nachfragen, verliert jede Angebotseinheit – jede Baseballkarte oder jeder Laib Brot – an Wert, so dass der Preis des Gutes sinkt. Der umgekehrte Fall tritt ein, wenn das Angebot der Ware abnimmt.

Der Markt ist also nicht eine einfache Abfolge von Tauschvorgängen, sondern ein hochkomplexes Gebilde unzähliger miteinander verbundener Bewertungs- und Tauschvorgänge. In primitiven Gesellschaften erfolgen alle Tauschgeschäfte durch direkten Tausch: Zwei Menschen tauschen zwei unmittelbar für sie nützliche Güter, z. B. Pferde gegen Kühe oder Mickey-Mantles- gegen Babe-Ruth-Karten. Wenn sich eine Gesellschaft jedoch weiterentwickelt, führt ein schrittweiser Prozess dazu, dass ein oder zwei im Großen und Ganzen als nützlich und wertvoll bewertete Güter auf dem Markt zu einem allgemeinen Medium des indirekten Austauschs werden. Diese „Geldware“, die oft, aber nicht immer aus Gold oder Silber besteht, wird dann nicht nur um ihrer selbst willen nachgefragt, sondern vor allem, um einen Rücktausch gegen eine andere gewünschte Ware zu erleichtern. Es ist viel einfacher, einen Stahlarbeiter statt mit Stahl mit Geld zu bezahlen, mit dem dieser dann andere Güter kaufen kann. Er ist dazu bereit, das Geld anzunehmen, weil er aus Erfahrung und Einsicht weiß, dass jeder andere in der Gesellschaft dieses Geld auch als Bezahlung akzeptieren wird.

Der Markt, also das moderne, schier unendliche Geflecht aus Tauschvorgängen, wird durch die Verwendung von Geld ermöglicht. Die Menschen spezialisieren sich, d. h. die Arbeit wird aufgeteilt und jeder tut das, was er am besten kann. Die Produktion beginnt mit der Gewinnung natürlicher Ressourcen, es folgen verschiedene Maschinen und Kapitalgüter, bis schließlich die Waren produziert und an den Verbraucher verkauft werden. Auf jeder Produktionsstufe, von der natürlichen Ressource bis zum Konsumgut, wird Geld freiwillig gegen Kapitalgüter, Arbeitsleistungen und Bodenressourcen getauscht. Bei jedem einzelnen Schritt werden die Tauschbedingungen oder Preise durch die freiwilligen Interaktionen von Anbietern und Nachfragern bestimmt. Solche Märkte sind „frei“, weil die Entscheidungen bei jedem Schritt frei und freiwillig getroffen werden.

Der freie Markt und das freie Preissystem machen Waren aus aller Welt für die Verbraucher verfügbar. Der freie Markt bietet auch den Unternehmern den größtmöglichen Spielraum, in dem sie ihr Kapital investieren können, um die Ressourcen so zu verteilen, dass die zukünftigen Wünsche möglichst vieler Verbraucher so effizient wie möglich erfüllt werden. Durch Sparen und Investieren können sie Investitionsgüter entwickeln, die Produktivität erhöhen und höhere Löhne an die Arbeitnehmer auszahlen, die diesen einen höheren Lebensstandard ermöglichen. Der freie wettbewerbsorientierte Markt belohnt und stimuliert auch neue kreative technologische Innovationen, mit denen der Innovator einen Vorsprung bei der Erfüllung der Verbraucherwünsche erzielen kann.

Das Preissystem und die Gewinn- und Verlustanreize des Marktes lenken die Kapitalinvestitionen und die Produktion in die richtigen Bahnen. Das ist vielleicht noch wichtiger als die Investitionsanreize. Das komplizierte Geflecht aus Tauschvorgängen und Preisfindungen kann alle Märkte miteinander verbinden und transparent machen, so dass nirgendwo im Produktionssystem plötzliche, unvorhergesehene und unerklärliche Engpässe oder Überschüsse entstehen.

Soweit die Theorie. In der Realität erfolgen die Tauschvorgänge nicht alle freiwillig. Viele von ihnen werden erzwungen. Wenn dir ein Räuber mit „Geld oder Leben“ droht, wirst du dazu gezwungen, ihm dein Geld zu übergeben und er profitiert auf deine Kosten. Das Merkmal des merkantilistischen Prinzips ist Raub, nicht der freie Markt: Der Räuber profitiert auf Kosten desjenigen, den er zur Herausgabe eines Gutes zwingt. Ausbeu- tung findet nicht auf dem freien Markt statt, sondern immer dann, wenn Täter ihre Opfer gewaltsam ausbeuten. Langfristig führt Zwang zu einem Negativsummenspiel, das zum Rückgang der Produktion, des Sparens und der Investitionen, zu aufgebrauchten Kapitalreserven und zur Verringerung der Produktivität und des Lebensstandards für alle, am Ende wahrscheinlich sogar für die Täter selbst.

Der Staat ist in jeder Gesellschaft das einzige rechtmäßige Zwangssystem. Steuern sind ein erzwungener Tausch und je höher die Produktion besteuert wird, desto wahrscheinlicher ist es, dass das Wirtschaftswachstum ins Stocken gerät und zurückgeht. Andere Formen staatlichen Zwangs (z. B. Preiskontrollen oder Markteintrittsbarrieren) behindern und lähmen den Markt, während andere (Betrugsverbot, Durchsetzung von Verträgen) den freiwilligen Austausch erleichtern können.

Die stärkste Ausprägung staatlicher Zwangsmaßnahmen ist der Sozialismus. Eine sozialistische Zentralplanung kennt kein Preissystem für Grundstücke oder Investitionsgüter. Wie selbst Sozialisten wie Robert Heilbroner zugeben müssen, hat die sozialistische Planungsbehörde keine Möglichkeit, Preise oder Kosten so zu kalkulieren oder Kapital so zu investieren, dass das Produktionsgeflecht transparent ist und reibungslos funktioniert. Die Erfahrung aus der Sowjetunion, wo eine Rekordernte von Weizen irgendwie nicht den Weg in den Einzelhandel findet, ist ein lehrreiches Beispiel dafür, dass eine komplexe, moderne Wirtschaft ohne einen freien Markt unmöglich ist. Es gab keinerlei Anreiz und Möglichkeit, die Preise und Kosten hierfür zu ermitteln. Nicht für den Transport des Weizens, nicht für die Annahme und Verarbeitung des Getreides in den Mühlen und nicht für die zahlreichen weiteren Zwischenschritte bis zum Endverbraucher in Moskau oder Swerdlowsk. Die Investition in Weizen war fast völlig umsonst.

Der Marktsozialismus ist ein Widerspruch in sich. In den üblichen Diskussionen darüber wird oft ein entscheidender Aspekt des Marktes übersehen. Wenn zwei Güter tatsächlich getauscht werden, werden in Wirklichkeit die Eigentumsrechte an diesen Gütern getauscht. Wenn ich eine Zeitung für fünfzig Cent kaufe, tauschen der Verkäufer und ich Eigentumsrechte aus: Ich gebe das Eigentum an den fünfzig Cent auf und übertrage es dem Zeitungshändler und er überlässt mir das Eigentum an der Zeitung. Es handelt sich um denselben Vorgang wie beim Kauf eines Hauses, nur dass der Zeitungskauf viel informeller abläuft und der komplizierte Prozess mit Urkunden, notariellen Verträgen, Maklern, Anwälten, Hypotheken usw. entfällt. Der wirtschaftliche Charakter der beiden Transaktionen bleibt jedoch derselbe.

Das bedeutet, dass der Schlüssel zum Entstehen und Florieren des freien Marktes eine Gesellschaft ist, in der das Recht auf Privateigentum respektiert, verteidigt und gesichert wird. Der Schlüssel zum Sozialismus hingegen ist das Eigentum der Regierung an den Produktionsmitteln, den Grundstücken und den Investitionsgütern. Daher kann es im Sozialismus keinen Markt für Grundstücke oder Investitionsgüter geben, der diesen Namen verdient.

Einige Kritiker des freien Marktes argumentieren, dass Eigentumsrechte im Widerspruch zu den „Menschenrechten“ stehen. Sie verkennen jedoch, dass in einem marktwirtschaftlichen System jeder Mensch ein Eigentumsrecht an seinem eigenen Körper und an seiner eigenen Arbeitskraft hat und dass er dafür freie Verträge abschließen kann. Sklaverei verletzt das grundlegende Eigentumsrecht des Menschen an seinem eigenen Körper und dadurch das Recht, das das Eigentum jedes Menschen an nichtmenschlichen materiellen Objekten begründet. Darüber hinaus sind alle Rechte Menschenrechte, sei es das Recht auf freie Meinungsäußerung oder das Eigentumsrecht an seinem Haus.

Ein gängiger Einwand gegen den freien Markt ist, dass dieser zum „Gesetz des Dschungels“ führt, das menschliche Zusammenarbeit dem Wettbewerb unterordnet und das den materiellen Erfolg über geistige Werte, Philosophie oder Freizeitaktivitäten stellt. In der Realität sehen wir das genaue Gegenteil: Zwang, Diebstahl und Parasitentum führen zu diesem Dschungel, in dem Leben und Wohlstand zerstört werden. Der friedliche Wettbewerb unter Produzenten und Anbietern eines Marktes ist ein zutiefst kooperativer Prozess, von dem alle profitieren und in dem der Lebensstandard aller um ein Vielfaches stärker steigt, wie in einer unfreien Gesellschaft. Der unbestreitbare materielle Erfolg freier Gesellschaften sorgt für den allgemeinen Wohlstand, der es uns erlaubt, im Vergleich zu anderen Gesellschaften ein enormes Maß an Freizeit zu genießen und geistigen Dingen nachzugehen. In Ländern, in denen es keine oder nur geringe Marktaktivitäten gibt, insbesondere im Kommunismus, verarmt der Alltag die Menschen materiell und lässt ihren Geist erstarren.

Weiterführende Literatur

Ballvé, Faustino, Essentials of Economics, 1963.
Hazlitt, Henry, Economics in One Lesson, 1946.
Mises, Ludwig von, Economic Freedom and Interventionism, edited by Bettina Greaves, 1990.
Rockwell, Llewellyn, Jr. (Ed.), The Economics of Liberty, 1990.
Rockwell, Llewellyn, Jr. (Ed.), The Free Market Reader, 1988.
Rothbard, Murray N., Power and Market: Government and the Economy, 2nd ed., 1977.
Rothbard, Murray N., What Has Government Done to Our Money, 4th ed., 1990.

 

(Dieser Artikel stammt aus dem Buch «Voluntarismus».)

Voluntarismus: Aufsätze, Texte und Zitate über die Freiheit

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