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Argumente für den libertären Anarchismus: Antworten auf zehn Einwände

Roderick T. Long, Ph.D.

Roderick Long ist Professor für Philosophie an der Auburn University. Dies ist die Mitschrift eines informellen Vortrags am Ludwig von Mises Institut, gehalten an der Mises Universität am 6. August 2004, während einer Sitzung, die „Mises Circle“ genannt wurde.

Ich möchte über einige der Haupteinwände sprechen, die gegen den libertären Anarchismus vorgebracht werden und versuchen, sie zu entkräften. Aber bevor ich damit anfange, möchte ich nur kurz darstellen, was meiner Meinung nach für den libertären Anarchismus spricht. Anderenfalls gäbe es kaum einen Anlass, sich mit den Einwänden zu beschäftigen und zu versuchen, sie zu entkräften.

Plädoyer für den libertären Anarchismus

Probleme mit dem Zwangsmonopol

Betrachten wir es einmal so: Was ist falsch an einem Schuhmonopol? Nehmen wir an, dass ich und meine Kumpels die einzigen sind, die legal Schuhe herstellen und verkaufen dürfen – meine Kumpels und jeder andere, den ich dazu ermächtige, aber niemand sonst. Was ist daran falsch? Nun, zunächst einmal stellt sich vom moralischen Standpunkt aus die Frage: Warum wir? Was ist so besonders an uns? Da ich mich in diesem Fall für mich entschieden habe, ist es plausibler, dass ich diese Art von Monopol habe, also sollte ich vielleicht ein anderes Beispiel wählen! Aber dennoch könnte man sich fragen, woher ich und meine Kumpels sich das Recht herausnehmen, etwas herzustellen und zu verkaufen, das niemand sonst herstellen und verkaufen darf oder eine Ware oder Dienstleistung anzubieten, die niemand sonst anbieten darf. Ich bin schließlich nur ein gewöhnlicher Sterblicher, also ein Mensch wie du selbst (mehr oder weniger). Vom moralischen Standpunkt aus habe ich also nicht mehr Rechte, dies zu tun als jeder andere.

Dann zum pragmatischen, konsequentialistischen Standpunkt – was wäre wahrscheinlich die Folge davon, dass ich und meine Kumpels ein Monopol auf Schuhe haben? Nun, zunächst einmal gibt es Anreizprobleme. Wenn ich die einzige Person bin, die das Recht hat, Schuhe herzustellen und zu verkaufen, werden die Schuhe wahrscheinlich nicht gerade günstig sein. Ich kann so viel verlangen, wie ich will, solange ich nicht so viel verlange, dass sich keiner mehr die Schuhe leisten kann oder dass einfach auf Schuhe verzichtet wird. Aber solange die Menschen willens und in der Lage sind, die Schuhe zu kaufen, werde ich den höchsten Preis dafür verlangen, den ich herausholen kann – schließlich habe ich keine Konkurrenz. Die Schuhe sind wahrscheinlich auch nicht besonders hochwertig, denn auch wenn sie kaum zu gebrauchen sind, sind sie besser als Barfußlaufen und es gibt keinen anderen Schuhanbieter.

Zu der Wahrscheinlichkeit, dass die Schuhe teuer und nicht besonders gut sind, kommt noch hinzu, dass ich der einzige bin, der Schuhe herstellt und verkauft, was mir einen gewissen Einfluss verschafft. Angenommen, ich kann dich nicht leiden. Angenommen, du hast mich irgendwie beleidigt. Vielleicht verkaufe ich dir einfach eine Zeit lang keine Schuhe. Es gibt also auch das Problem des Machtmissbrauchs.

Aber das ist nicht das Anreizproblem, denn nehmen wir einmal an, ich bin ein perfekter Heiliger und ich stelle die besten Schuhe für dich her, die ich herstellen kann und ich werde den niedrigsten Preis verlangen, den ich verlangen kann und ich werde meine Macht nicht missbrauchen. Angenommen, ich bin absolut vertrauenswürdig. Ich bin ein Fürst unter den Menschen (nicht im Sinne Machiavellis). Folgendes Problem bleibt bestehen: Woher soll ich genau wissen, dass ich mit diesen Schuhen das Beste mache, was ich machen kann? Schließlich gibt es ja keine Konkurrenz. Ich denke, ich könnte die Leute befragen, um herauszufinden, welche Art von Schuhen sie sich wünschen. Aber es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, wie ich Schuhe herstellen kann. Einige davon sind teurer, andere weniger teuer. Woher soll ich wissen, was wie gut und wie teuer ist, wenn es keinen Markt gibt und ich nicht wirklich viel für die Gewinn- und Verlustrechnung tun kann? Ich muss einfach Vermutungen anstellen. Selbst wenn ich also mein Bestes gebe, kann es sein, dass Anzahl und Qualität meiner Produkte nicht dem entsprechen, was die Menschen wollen und es fällt mir schwer, das herauszufinden.

Der Staat ist ein Zwangsmonopol

Das alles sind Gründe, die gegen ein Monopol auf die Herstellung und den Verkauf von Schuhen sprechen. Zumindest auf den ersten Blick scheinen es gute Gründe zu sein, die gegen ein Monopol bei der Erbringung von Dienstleistungen im Bereich der Streitbeilegung und des Rechtsschutzes sprechen, also bei all den Dingen, die mit dem zu tun haben, was man im weitesten Sinne als Rechtswesen bezeichnen könnte. Zunächst einmal stellt sich die moralische Frage: Warum hat eine Gruppe von Menschen in einem bestimmten Gebiet das exklusive Recht, verschiedene Arten von Rechtsdienstleistungen anzubieten oder bestimmte Dinge durchzusetzen? Und dann stellen sich noch die wirtschaftlichen Fragen: Welche Anreize gibt es? Noch einmal: Es handelt sich um ein Monopol. Es ist wahrscheinlich, dass sie mit einem festen Kundenstamm höhere Preise verlangen und eine geringere Qualität anbieten wird, als sie es sonst tun würde. Es könnte sogar gelegentlich zu Machtmissbrauch kommen. Und selbst wenn es gelingt, all diese Probleme zu vermeiden und all die heiligen Typen in die Regierung zu holen, bleibt immer noch das Problem, woher sie wissen sollen, dass genau diese Art und Weise, Rechtsdienstleistungen anzubieten, genau diese besondere Mischung von Rechtsdienstleistungen, die sie anbieten, genau dieser Weg, wie sie es tun, wirklich das Beste ist? Sie versuchen einfach, herauszufinden, was funktioniert. Da es keine Konkurrenz gibt, haben sie kaum eine Möglichkeit zu wissen, ob das, was sie tun, das Beste ist, was sie tun könnten.

Der Zweck dieser Überlegungen besteht also darin, die Beweislast auf den Gegner zu verlagern. Dies ist also der Punkt, an dem der Gegner des Wettbewerbs bei rechtlichen Dienstleistungen einige Einwände vorbringen muss.

Zehn Einwände gegen den libertären Anarchismus

(1) Der Staat ist kein Zwangsmonopol

Nun, dieser Einwand, der manchmal vorgebracht wird, ist weniger ein Einwand gegen den Anarchismus als ein Einwand gegen das moralische Argument für den Anarchismus: „Also, es ist nicht wirklich ein Zwangsmonopol. Es ist nicht so, dass die Menschen nicht damit einverstanden wären, denn in gewisser Weise haben sie dem bestehenden System zugestimmt – indem sie innerhalb der Grenzen eines bestimmten Territoriums leben, indem sie die von der Regierung angebotenen Leistungen annehmen usw. haben sie tatsächlich zugestimmt. Wenn man in ein Restaurant geht, sich hinsetzt und sagt: ‚Ich hätte gern ein Steak‘, muss man nicht ausdrücklich erwähnen, dass man damit einverstanden ist, dafür zu bezahlen; es ist selbstverständlich. Indem man sich im Restaurant hinsetzt und ein Steak bestellt, erklärt man sich bereit, dafür zu bezahlen. Ähnlich verhält es sich mit dem Argument, dass man, wenn man sich auf dem Gebiet dieses Staates hinsetzt und die Leistungen des Polizeischutzes oder ähnliches annimmt, implizit zustimmt, sich an dessen Regeln zu halten.“ Selbst wenn dieses Argument richtig wäre, wäre damit die praktische Frage, ob dies das am besten funktionierende System ist, noch nicht geklärt.

Aber ich denke, dass dieses Argument falsch ist. Es ist sicherlich richtig, dass, wenn ich das Grundstück eines anderen betrete, die Erwartung besteht, dass ich, solange ich mich auf seinem Grundstück befinde, tun muss, was er sagt. Ich muss seine Regeln befolgen. Wenn ich mich nicht an seine Regeln halten will, muss ich gehen. Ich lade dich also zu mir nach Hause ein und wenn du reinkommst, sage ich: „Du musst diesen komischen Hut aufsetzen.“ Und du sagst: „Was soll das?“ Und ich sage: „Nun, so läuft das bei mir zu Hause. Jeder muss den komischen Hut tragen. Das sind meine Regeln.“ Nun, du kannst nicht sagen: „Ich setze den Hut nicht auf, aber ich bleibe trotzdem.“ Vielleicht sind es blödsinnige Regeln, aber ich kann das so machen – es sind meine Regeln.

Nehmen wir an, du bist zu Hause beim Abendessen und ich bin dein Nachbar und klopfe an deine Tür. Du öffnest die Tür, ich komme herein und sage: „Du musst den komischen Hut aufsetzen.“ Und du fragst: „Warum denn das?“ Und ich sage: „Du bist doch gerade neben mir eingezogen, oder? Damit hast du dich sozusagen damit einverstanden erklärt.“ Und du sagst: „Warte mal! Wann habe ich zugestimmt?“

Ich denke, dass jene, die dieses Argument vorbringen, bereits davon ausgehen, dass der Staat das Recht hat, über sein Gebiet zu bestimmen. Und dann sagen sie, dass jeder, der sich in diesem Gebiet aufhält, sich mit den dort geltenden Regeln einverstanden erklärt hat. Sie setzen also genau das voraus, ws sie zu beweisen versuchen – nämlich dass dieses Recht, über das Gebiet zu bestimmen, legitim ist. Wenn das nicht der Fall ist, dann ist die Regierung nur eine weitere Gruppe von Menschen, die in diesem großen allgemeinen geografisch abgegrenzten Gebiet leben. Ich aber habe mein Eigentum und ich weiß nicht genau, was sie für Regeln aufgestellt haben, aber hier bin ich auf meinem Eigentum und nicht auf deren Eigentum. Zumindest haben sie mir keine plausible Begründung dafür geliefert, warum es nicht deren Eigentum ist. So bedeutet die Tatsache, dass ich in „diesem Land“ lebe, dass ich in einer bestimmten geografischen Region lebe, auf die sie gewisse Ansprüche haben – aber die Frage ist, ob diese Ansprüche rechtmäßig sind. Man kann sie nicht einfach voraussetzen, um sie zu beweisen.

Ein weiteres Problem bei der Argumentation mit dem impliziten Gesellschaftsvertrag ist, dass nicht klar ist, um welchen Vertrag es sich handelt. Im Falle einer Essensbestellung in einem Restaurant kennt so ziemlich jeder den Vertragsgegenstand. Man könnte hier also mit einer impliziten Zustimmung argumentieren. Aber niemand käme auf die Idee, dass man ein Haus auf die gleiche Weise kaufen könnte.

Dafür gibt es viele bestimmte Regeln und Prozeduren. Wenn es sich um etwas Kompliziertes handelt, sagt niemand: „Du hast einfach zugestimmt, indem du irgendwann mit dem Kopf genickt hast“ oder so. Man muss herausfinden, was tatsächlich im Vertrag steht. Wozu soll man sich verpflichtet haben? Es ist nicht offensichtlich, wenn niemand weiß, was genau in dem Vertrag steht. Das ist also nicht besonders überzeugend.
Okay, die meisten Argumente, über die ich sprechen werde, sind praktischer Natur oder eine Mischung aus Moral und Praxis.

(2) Hobbes: Die Regierung ist für die Zusammenarbeit notwendig

Das wohl bekannteste Argument gegen die Anarchie stammt von Hobbes. Hobbes’ Argument lautet: „Nun, menschliche Zusammenarbeit, soziale Zusammenarbeit, erfordert eine Gesetzesstruktur im Hintergrund. Der Grund, warum wir darauf vertrauen können, dass wir zusammenarbeiten, ist, dass wir wissen, dass es gesetzliche Regelungen gibt, durch die wir bestraft werden, wenn wir die Rechte des anderen verletzen. Ich weiß, dass du mich bestrafen wirst, wenn ich deine Rechte verletze, aber sie werden dich auch bestrafen, wenn du meine Rechte verletzt. Ich kann dir also vertrauen, weil ich mich nicht auf deinen persönlichen Charakter verlassen muss. Ich muss mich nur darauf verlassen, dass du dich durch das Gesetz einschüchtern lässt.“ Soziale Zusammenarbeit erfordert also diesen rechtlichen Rahmen, der durch die Gewalt des Staates gestützt wird.

Hobbes geht hier von mehreren Dingen gleichzeitig aus. Erstens geht er davon aus, dass es ohne Recht keine soziale Zusammenarbeit geben kann. Zweitens geht er davon aus, dass es kein Gesetz geben kann, wenn es nicht mit physischer Gewalt durchgesetzt wird. Und drittens geht er davon aus, dass es kein Recht geben kann, das nicht mit physischer Gewalt durchgesetzt wird, es sei denn, dies geschieht durch einen Monopolstaat.

Aber alle diese Annahmen sind falsch. Es ist sicherlich richtig, dass Kooperation entstehen kann und auch ohne Gesetze entsteht, vielleicht nicht so effizient wie mit Gesetz, aber sie entsteht. Es gibt ein Buch von Robert Ellickson, Order Without Law, in dem er darüber berichtet, wie Nachbarn es schaffen, Streitigkeiten beizulegen. Er beschreibt alle möglichen Beispiele dafür. Was passiert, wenn die Kuh eines Bauern in das Gebiet eines anderen Bauern eindringt? Sie lösen das Problem durch einige gegenseitige gewohnheitsrechtliche Vereinbarungen usw., ohne dass es einen rechtlichen Rahmen für die Lösung des Problems gibt. Vielleicht reicht das für eine komplexe Wirtschaft nicht aus, aber es zeigt, dass man auch ohne einen rechtlichen Rahmen zusammenarbeiten kann.

Zweitens kann man einen rechtlichen Rahmen haben, der nicht durch Gewalt gestützt wird. Ein Beispiel dafür wäre das Handelsrecht des späten Mittelalters: ein System des Handelsrechts, das durch Boykottdrohungen gestützt wurde. Boykott ist kein Akt der Gewalt. Aber dennoch gibt es Kaufleute, die alle diese Verträge abschließen und wenn sie sich nicht an den Vertrag halten, dann verkündet das Gericht einfach für alle öffentlich: „Diese Person hat sich nicht an den Vertrag gehalten; berücksichtigen Sie das, bevor Sie einen weiteren Vertrag mit ihr abschließen wollen.“

Und drittens kann es formale Rechtssysteme geben, die Gewalt anwenden, aber nicht monopolistisch sind. Da Hobbes diese Möglichkeit nicht einmal in Betracht zieht, liefert er auch kein wirkliches Argument dagegen. Aber man kann in der Geschichte durchaus Beispiele dafür finden. Die Geschichte des mittelalterlichen Islands zum Beispiel, wo es kein zentrales Gewaltmonopol gab. Es gab zwar etwas, das man vielleicht als Regierung bezeichnen könnte, aber es gab keine Exekutive. Es gab keine Polizei, keine Soldaten, gar nichts. Es gab so etwas wie ein konkurrierendes Gerichtssystem. Aber die Durchsetzung war jedem selbst überlassen. Und es gab Systeme, die sich entwickelt haben, um das zu regeln.

(3) Locke: Drei „Unannehmlichkeiten“ der Anarchie

Die interessanteren Argumente stammen von Locke. Locke argumentiert, dass Anarchie drei Dinge mit sich bringt, die er „Unannehmlichkeiten“ nennt. Und „Unannehmlichkeit“ hat im Englisch des 17. Jahrhunderts einen etwas gewichtigeren Klang als im modernen Englisch, aber dennoch war Locke der Meinung, dass die soziale Zusammenarbeit in der Anarchie in gewissem Maße bestehen kann, wenn er sie „Unannehmlichkeiten“ nennt, was immer noch etwas schwächer ist. Er war optimistischer als Hobbes. Er glaubte, dass auf der Grundlage von moralischen Sympathien einerseits und Eigeninteresse andererseits Zusammenarbeit entstehen könnte.

Seiner Meinung nach gibt es drei Probleme. Ein Problem bestehe darin, dass es kein allgemein bekanntes, allgemein anerkanntes und verstandenes Recht gebe. Die Menschen könnten bestimmte Grundprinzipien der Naturgesetze begreifen. Aber ihre Anwendung und die genauen Details würden immer umstritten sein. Selbst Libertäre sind sich da nicht einig. Sie können sich auf allgemeine Dinge einigen, aber sie streiten sich über verschiedene Feinheiten. Selbst in einer Gesellschaft von friedlichen, kooperativen Libertären wird es also Meinungsverschiedenheiten über Details geben. Wenn es also keine allgemeinen Gesetze gibt, die jeder kennt, damit er weiß, was er tun kann und was nicht, wird es nicht funktionieren. Das war also das erste Argument von Locke. Es muss einen allgemein bekannten, universellen Bestand an Gesetzen geben, die für alle gelten und über die jeder im Voraus Bescheid weiß.

Zweitens gibt es ein Problem mit der Durchsetzung. Er war der Meinung, dass es ohne einen Staat keine ausreichend vereinheitlichte Macht zur Durchsetzung gibt. Es gibt nur Einzelpersonen, die Dinge auf eigene Faust durchsetzen und diese sind einfach zu schwach und nicht organisiert genug. Sie könnten zum Beispiel von einer Verbrecherbande leicht überrannt werden.

Drittens sagte Locke, das Problem sei, dass man den Menschen nicht zutrauen könne, in ihrem eigenen Fall Richter zu sein. Wenn zwei Menschen eine Meinungsverschiedenheit haben und einer von ihnen sagt „Ich kenne das Naturgesetz und ich werde es dir aufzwingen“, dann neigen Menschen dazu, voreingenommen zu sein und sie werden die Auslegung des Naturgesetzes am plausibelsten finden, die ihren eigenen Fall begünstigt. Er war also der Meinung, dass man den Menschen nicht zutrauen kann, Richter in eigener Sache zu sein. Daher sollten sie moralisch verpflichtet sein, Entscheidungen über ihre Streitigkeiten einem Schiedsrichter zu überlassen. In Notfällen können sie sich vielleicht noch direkt verteidigen, aber in anderen Fällen, in denen es nicht um unmittelbare Selbstverteidigung geht, müssen sie dies an einen Schiedsrichter, einen Dritten, delegieren – und das ist der Staat.

Locke ist also der Meinung, dass es in einer Anarchie diese drei Probleme gibt, die es in einem Staat, oder zumindest in der richtigen Art von Staat, nicht geben würde. Ich glaube aber, dass es genau umgekehrt ist. Ich denke, dass die Anarchie alle drei Probleme lösen kann und dass der Staat aufgrund seiner Natur nicht in der Lage ist, sie zu lösen.

Nehmen wir also zunächst den Fall der Universalität, d.h. einen Bestand an allgemein gültigen und bekannten Gesetzen, den die Menschen im Voraus kennen und auf das sie sich verlassen können. Kann so etwas in einem nichtstaatlichen System entstehen? Das Handelsrecht ist tatsächlich entstanden, gerade weil die Staaten es nicht zur Verfügung stellten. Einer der Gründe, der zur Entstehung des Handelsrechts beigetragen hat, ist, dass die einzelnen Staaten in Europa jeweils unterschiedliche Gesetze für Kaufleute hatten. Sie waren alle verschieden. Ein Gericht in Frankreich würde einen in England geschlossenen Vertrag nicht nach englischem Recht anerkennen und umgekehrt. Die Fähigkeit der Kaufleute, internationalen Handel zu treiben, wurde also durch die Tatsache behindert, dass es kein einheitliches System des Handelsrechts für ganz Europa gab. Also taten sich die Kaufleute zusammen und sagten: „Gut, dann machen wir eben unser eigenes. Die Gerichte stellen diese verrückten Regeln auf, die alle unterschiedlich sind und sie respektieren die Entscheidungen der anderen nicht. Also ignorieren wir sie einfach und schaffen unser eigenes System.“ Dies ist also ein Fall, in dem Einheitlichkeit und Berechenbarkeit durch den Markt und nicht durch den Staat geschaffen wurden. Und es ist klar, warum das nicht überraschend ist. Es liegt im Interesse derjenigen, die ein privates System anbieten, es einheitlich und berechenbar zu machen, wenn die Kunden das brauchen.

Aus demselben Grund gibt es auch keine dreieckigen Karten für Geldautomaten. Soweit ich weiß, gibt es kein Gesetz, das dreieckige Scheckkarten verbietet, aber wenn jemand versuchen würde, sie auf den Markt zu bringen, wären sie einfach nicht besonders beliebt, weil sie nicht in die vorhandenen Automaten passen würden. Wenn die Menschen Vielfalt und unterschiedliche Systeme für unterschiedliche Menschen brauchen, dann bietet der Markt das. Aber es gibt einige Dinge, bei denen Einheitlichkeit besser ist. Deine Karte für den Geldautomaten ist für sie wertvoller, wenn alle anderen die gleiche oder eine größen- und formkompatible Karte benutzen, so dass alle die Automaten überall benutzen können und so werden die Händler, wenn sie Gewinn machen wollen, für Einheitlichkeit sorgen. Der Markt hat also einen Anreiz, für Einheitlichkeit zu sorgen, den der Staat nicht unbedingt hat.

Zur Frage, ob die Macht ausreicht, um sich zur Verteidigung zu organisieren – es gibt keinen Grund, warum Menschen in der Anarchie keine Organisationen bilden sollten. Anarchie bedeutet nicht, dass jeder seine eigenen Schuhe herstellt. Die Alternative zu einem Staat, der alle mit Schuhen versorgt, ist nicht, dass jeder seine eigenen Schuhe herstellt. Genauso ist die Alternative zum Staat, der alle juristischen Dienstleistungen anbietet, nicht, dass jeder sein eigener unabhängiger Polizist sein muss. Es gibt keinen Grund dafür, dass sie sich nicht auf verschiedene Weise organisieren können. Wenn du dir Sorgen darüber machst, dass du nicht stark genug bist, um dich gegen einen Angreifer zu wehren, dann ist ein staatliches Gewaltmonopol ein viel gefährlicherer Angreifer als irgendeine Verbrecherbande, weil sie die gesamte Macht an einem einzigen Punkt in der ganzen Gesellschaft konzentriert.

Aber ich denke, das schwächste Argument von Locke ist, Richter in eigener Sache zu sein. Erstens ist es kein gutes Argument, weil es nicht möglich ist, aus der Situation „Jeder sollte seine Streitigkeiten der Entscheidung eines Dritten überlassen“ zu schlussfolgern: „Es sollte einen Dritten geben, dem jeder seine Streitigkeiten vorlegt“. Das ist so, als würde man „Jeder findet mindestens eine Fernsehsendung gut“ und „Es gibt mindestens eine Fernsehsendung, die jeder gut findet“ gleichsetzen. Das ist einfach nicht schlüssig. Jeder kann seine Streitigkeiten bei Dritten zur Entscheidung vorlegen, ohne dass es einen einzigen Dritten geben muss. Angenommen, es gibt drei Menschen auf einer Insel. A und B können ihre Streitigkeiten bei C zur Entscheidung vorlegen, A und C bei B und B und C bei A.

Ein Staat ist nicht nur überflüssig, sondern wäre sogar genau das, was von diesem Grundsatz ausgenommen ist. Denn wenn es einen Streit mit dem Staat gibt, kann dieser nicht einem Dritten zur Entscheidung vorgelegt werden. Wer einen Streit mit dem Staat hat, muss ihn vor einem staatlichen Gericht ausgetragen (wenn er Glück hat – wenn nicht, wird er nicht einmal bis zu einem Gericht kommen). Mit einer Gewaltenteilung usw. ist das natürlich etwas besser, weil das zumindest etwas näher an einer Situation des unabhängigen Dritten dran ist, aber trotzdem sind sie alle Teil desselben Systems: Die Richter werden mit Steuergeldern bezahlt usw. Es kann zwar, je nachdem wie der Staat aufgebaut ist, bessere und schlechtere Annäherungen an dieses Prinzip geben. Solange es sich aber um ein Monopolsystem handelt, liegt es in der Natur der Sache, dass es in gewissem Sinne gesetzlos ist. Es unterwirft seine Streitigkeiten letztlich nie einem unabhängigen Dritten.

(4) Ayn Rand: Private Sicherheitsorganisationen werden sich bekämpfen

Das wohl populärste Argument gegen die libertäre Anarchie stammt von Ayn Rand. Es lautet: Was passiert, wenn ich denke, dass du meine Rechte verletzt hast und du denkst, dass du es nicht getan hast? Ich informiere meine Sicherheitsorganisation und du informierst deine. Warum werden sie sich nicht einfach streiten? Was garantiert, dass sie sich nicht bekämpfen werden? Die Antwort darauf lautet natürlich: Nichts garantiert, dass sie sich nicht bekämpfen. Die Menschen haben einen freien Willen. Sie können alle möglichen verrückten Dinge tun. Sie könnten in die Schlacht ziehen. Genauso könnte George Bush morgen beschließen, den Atom- knopf zu drücken.

Die Frage ist: Was ist wahrscheinlich? Ist es wahrscheinlicher, dass ein Staat oder eine private Sicherheitsorganisation Streitigkeiten mit Gewalt löst? Der Unterschied besteht darin, dass private Sicherheitsorganisationen die Kosten ihrer eigenen Entscheidungen, in den Krieg zu ziehen, selbst tragen müssen. In den Krieg zu ziehen ist teuer. Wer die Wahl zwischen zwei Sicherheitsdiensten hat, von denen die eine Streitigkeiten meistens mit Gewalt löst und die andere meistens durch gewaltfreie Schlichtung, dann denkst du vielleicht im ersten Moment: „Ich will den, der seine Streitigkeiten mit Gewalt löst – das klingt cool!“ Aber dann siehst du den hohen Aufschlag bei den monatlichen Gebühren. Vielleicht gibt es trotzdem genug Leute, die dazu bereit sind, dafür zu bezahlen, aber trotzdem wird der Preis deutlich höher sein. Viele Kunden werden sagen: „Ich gehe lieber zu einem Anbieter, der weniger Geld verlangt, weil er Konflikte meistens gewaltfrei löst.“ Der Staat hingegen hat „Kunden“, die nirgendwo anders hingehen können und er zwingt sie dazu, zu bezahlen. Der Staat kann die Kosten für seine Kriegseinsätze viel effektiver externalisieren, als private Organisationen es tun können.

(5) Robert Bidinotto: Kein oberster Schiedsrichter bei Streitigkeiten

Ein gängiger Einwand – den man zum Beispiel bei Robert Bidinotto findet, der ein Randianer ist und eine Reihe von Artikeln gegen die Anarchie geschrieben hat (er und ich hatten eine Art laufende Online-Debatte darüber) – sein Haupteinwand gegen die Anarchie ist, dass es in der Anarchie keinen obersten Schiedsrichter bei Streitigkeiten gibt. In einem Staat kommt irgendwann ein oberstes Gericht daher und löst den Streit auf die eine oder andere Weise. Da es in der Anarchie keine Instanz gibt, die das Recht hat, die Dinge ein für alle Mal zu regeln, gibt es auch keinen obersten Schiedsrichter, so dass Streitigkeiten in gewissem Sinne nie enden, nie endgültig beigelegt werden, sondern immer ein offenes Ende haben.

Was ist die Antwort darauf? Nun, ich denke, dass das Konzept eines obersten Schiedsrichters zweideutig ist. Mit „oberster Schiedsrichter“ könnte man den letzten Schiedsrichter im platonischen Sinne meinen, wie ich es nenne. Das heißt, jemand oder etwas oder eine Institution, die irgendwie absolut garantiert, dass der Streitfall für immer beigelegt ist; jemand, der die Lösung absolut garantiert. Man könnte aber auch einfach sagen, dass es eine Person, ein Verfahren, eine Institution oder etwas anderes gibt, das mehr oder weniger zuverlässig dafür sorgt, dass die meisten Probleme gelöst werden.

Nun ist es richtig, dass die Anarchie im platonischen Sinne einer absoluten Garantie eines obersten Schiedsrichters – in diesem Sinne – keinen solchen bietet. Aber das tut auch kein anderes System. Nehmen wir eine minarchistische Verfassungsrepublik, wie sie Bidinotto favorisiert. Gibt es in diesem System einen obersten Schiedsrichter im Sinne einer absoluten Garantie für die Beendigung des Streitprozesses? Ich verklage wen, oder ich bin verklagt worden, oder ich werde wegen irgendetwas beschuldigt, was auch immer – ich bin in einer Art Gerichtsverfahren. Ich verliere. Ich gehe in Berufung. Ich gehe vor dem Obersten Gerichtshof in Berufung. Sie entscheiden gegen mich. Ich setze mich beim Kongress dafür ein, dass die Gesetze zu meinen Gunsten geändert werden. Sie tun es nicht. Also versuche ich, eine Bewegung für einen Verfassungszusatz ins Leben zu rufen. Das scheitert, also versuche ich, die Leute zusammenzubringen, um neue Leute in den Kongress zu wählen, die dafür stimmen werden. In gewissem Sinne kann das ewig so weitergehen. Der Streit ist noch nicht vorbei.

Tatsächlich ist es aber so, dass die meisten Rechtsstreitigkeiten irgendwann enden. Jemand findet es zu kostspielig, weiter zu streiten. Auch in der Anarchie gibt es natürlich keine Garantie dafür, dass der Konflikt nicht ewig weitergeht. Es gibt generell nur sehr wenige Garantien dieser Art. Aber das ist kein Grund, nicht zu erwarten, dass es funktionieren wird.

(6) Eigentumsrecht kann nicht aus dem Markt entstehen

Ein weiteres beliebtes Argument, das auch von den Randianern häufig verwendet wird, ist, dass der Marktaustausch ein Eigentumsrecht als Rahmen voraussetzt. Du und ich, wir können keine Waren, Dienstleistungen oder Geld oder was auch immer tauschen, wenn es nicht bereits einen stabilen Rahmen des Eigentumsrechts gibt, der uns Eigentumsrechte sichert. Und da der Markt, um zu funktionieren, ein bestehendes Eigentumsrecht voraussetzt, kann dieses Eigentumsrecht nicht selbst das Produkt des Marktes sein. Das Eigentumsrecht muss entstehen – sie denken wahrscheinlich wirklich, dass es aus einem gottähnlichen Roboter oder so entstehen muss – aber ich weiß nicht genau, woraus es entsteht, aber ir- gendwie kann es nicht aus dem Markt entstehen.

Aber ihr Denken ist in etwa so: Zuerst gibt es dieses Eigentumsrecht und es wird alles eingerichtet und es finden keine Markttransaktionen statt – jeder wartet nur darauf, dass die ganze rechtliche Struktur eingerichtet wird. Und dann ist sie da – und jetzt können wir endlich anfangen, hin und her zu handeln. Es ist sicherlich richtig, dass man ohne ein funktionierendes Rechtssystem keine funktionierenden Märkte haben kann. Aber es ist nicht so, dass zuerst das Rechtssystem vorhanden ist und dann am letzten Tag, nachdem endlich das Rechtssystem zusammengebastelt ist, beginnen die Menschen mit ihrem Handel. Diese Dinge entstehen zeitgleich. Rechtliche Institutionen und wirtschaftlicher Handel entstehen gemeinsam an ein und demselben Ort, zu ein und derselben Zeit. Das Rechtssystem ist nicht etwas, das unabhängig von den Handlungen existiert, die es einschränkt. Schließlich ist ein Rechtssystem auch kein Roboter oder Gott oder etwas von uns Unabhängiges. Die Existenz einer Rechtsordnung besteht darin, dass sich die Menschen an sie halten. Wenn jeder das Rechtssystem ignorieren würde, hätte es überhaupt keine Macht. Es überlebt also nur, weil sich die Menschen im Allgemeinen daran halten. Auch die Rechtsordnung ist auf freiwillige Unterstützung angewiesen.

Ich denke, dass ein Grund, warum viele Menschen Angst vor Anarchie haben, darin besteht, dass sie denken, dass es unter der Regierung eine Art von Garantie gibt, die in der Anarchie weggenommen wird. Dass es irgendwie diesen festen Rahmen gibt, auf den wir immer zurückgreifen können, der in der Anarchie einfach weg ist. Aber der feste Rahmen ist nur das Produkt der Menschen, die mit den Anreizen, die sie haben, interagieren. Ähnlich ist es, wenn Anarchisten sagen, dass die Menschen in der Anarchie wahrscheinlich den Anreiz hätten, dieses oder jenes zu tun und die Leute sagen: „Nun, das ist nicht gut genug! Ich will nicht nur, dass es wahrscheinlich ist, dass sie einen Anreiz haben, dies zu tun. Ich möchte, dass die Regierung absolut garantiert, dass sie es tun werden!“

Aber die Regierung besteht auch nur aus Menschen. Und je nachdem, wie die verfassungsmäßige Struktur dieser Regierung aussieht, ist es wahrscheinlich, dass sie dieses oder jenes tun wird. Man kann keine Verfassung entwerfen, die garantiert, dass sich die Menschen in der Regierung auf eine bestimmte Art und Weise verhalten werden. Man kann sie so strukturieren, dass es wahrscheinlicher ist, dass sie dies oder jenes tun. Und man kann Anarchie als eine Erweiterung des Systems der gegenseitigen Kontrolle auf einer breiteren Ebene sehen.

Die Leute fragen zum Beispiel: „Was garantiert, dass die verschiedenen Behörden die Dinge auf eine bestimmte Art und Weise lösen?“ Nun, die US-Verfassung sagt nichts darüber aus, was passiert, wenn sich die verschiedenen Zweige der Regierung nicht einig sind, wie etwas zu regeln ist. Sie besagt nicht, was passiert, wenn der Oberste Gerichtshof etwas für verfassungswidrig hält, der Kongress aber nicht und es trotzdem tun will. Es wird auch nicht gesagt, was passiert, wenn es einen Streit zwischen den Staaten und der Bundesregierung gibt. Das derzeitige System, bei dem der Oberste Gerichtshof etwas für verfassungswidrig erklärt und der Kongress und der Präsident dann nicht mehr versuchen, es umzusetzen (oder zumindest nicht mehr so oft), hat es nicht immer gegeben. Als der Gerichtshof das, was Andrew Jackson tat, für verfassungswidrig erklärte, als er Präsident war, sagte er einfach: „Nun, sie haben ihre Entscheidung getroffen, sollen sie sie durchsetzen.“ Die Verfassung sagt nichts darüber aus, ob die Art und Weise, wie Jackson es tat, die richtige war. Die Art und Weise, wie wir es jetzt machen, hat sich durch Gewohnheit herausgebildet. Vielleicht bist du dafür, vielleicht bist du dagegen – was auch immer es ist, es wurde nie in einem Gesetz niedergeschrieben.

(7) Das organisierte Verbrechen wird die Macht übernehmen

Dass in der Anarchie das organisierte Verbrechen die Macht übernehmen wird, könnte passieren. Aber ist das wahrscheinlich? Das organisierte Verbrechen erhält seine Macht, weil es sich auf Dinge spezialisiert hat, die illegal sind – Dinge wie Drogen und Prostitution und so weiter. In den Jahren, als Alkohol verboten war, hat sich das organisierte Verbrechen auf den Alkoholhandel spezialisiert. Heutzutage ist das organisierte Verbrechen nicht mehr so stark im Alkoholhandel vertreten. Die Macht des organisierten Verbrechens hängt also zu einem großen Teil von der Macht der Regierung ab. Es sitzt sozusagen als Parasit auf den Aktivitäten der Regierung. Indem Regierungen Dinge verbieten, schaffen sie Schwarzmärkte. Schwarzmärkte sind gefährlich, weil man sich sowohl vor der Regierung als auch vor anderen zwielichtigen Leuten fürchten muss, die sich auf dem Schwarzmarkt betätigen. Das organisierte Verbrechen ist darauf spezialisiert. Daher denke ich, dass das organisierte Verbrechen in einem libertären System nicht stärker, sondern schwächer sein würde.

(8) Die Reichen werden herrschen

Eine weitere Sorge ist, dass die Reichen herrschen würden. Geht die Gerechtigkeit in diesem Fall nicht einfach an den Meistbietenden, wenn man Rechtsdienstleistungen zu einem Wirtschaftsgut macht? Das ist ein häufiger Einwand. Interessanterweise wird dieser Einwand besonders oft von Randianern vorgebracht, die sich plötzlich sehr um die armen, verarmten Massen sorgen. Aber in welchem System sind die Reichen mächtiger? Unter dem derzeitigen System oder in der Anarchie? Sicherlich hat man immer einen gewissen Vorteil, wenn man reich ist. Es ist gut, reich zu sein. Man ist immer in einer besseren Position, Leute zu bestechen, wenn man reich ist, als wenn man nicht reich ist; das ist richtig. Aber unter dem derzeitigen System wird die Macht der Reichen vergrößert. Nehmen wir an, ich bin eine böse, reiche Person und möchte die Regierung dazu bringen, etwas zu tun, das eine Million Dollar kostet. Muss ich einen Bürokraten mit einer Million Dollar bestechen, um das zu erreichen? Nein, denn ich verlange ja nicht, dass er es mit seinem eigenen Geld tut. Wenn ich ihn bitten würde, es mit seinem eigenen Geld zu tun, könnte ich ihn natürlich nicht dazu bringen, eine Million Dollar auszugeben, wenn ich ihn mit weniger als einer Million bestechen würde. Es müssten mindestens eine Million Dollar und ein Cent sein. Aber Leute, die Steuergelder kontrollieren, die ihnen nicht persönlich gehören und mit denen sie daher nicht tun können, was sie wollen, können die Million nicht einfach in die Tasche stecken und nach Hause gehen (obwohl es dem erstaunlich nahe kommen kann). Alles, was ich tun muss, ist, ihn mit ein paar Tausend Dollar zu bestechen und er kann diese Million an Steuergeldern für mein Lieblingsprojekt oder für was auch immer verwenden, wodurch sich die Macht meines Bestechungsgeldes vervielfacht.

Wärst du hingegen der Leiter einer privaten Schutzorganisation und ich würde versuchen, dich dazu zu bringen, etwas zu tun, das eine Million Dollar kostet, müsste ich dich mit mehr als einer Million bestechen. Die Macht der Reichen ist also unter diesem System tatsächlich geringer. Und natürlich würde jedes Gericht, das den Ruf hat, Millionäre gegenüber armen Menschen zu diskriminieren, vermutlich auch den Ruf haben, Milliardäre gegenüber Millionären zu diskriminieren. Die Millionäre würden sich also nicht die ganze Zeit damit befassen wollen. Sie würden sich nur dann damit befassen wollen, wenn sie es mit ärmeren Menschen zu tun haben, nicht mit Menschen, die reicher sind. Zu den Auswirkungen auf den Ruf muss ich eigentlich nichts mehr sagen.

Bei armen Opfern, die sich keinen Rechtsbeistand leisten können, oder Opfern, die ohne Erben sterben (auch hier sind die Randianer sehr besorgt über Opfer, die ohne Erben sterben) kann man tun, was man im mittelal- terlichen Island tat. Du bist zu arm, um dir einen Rechtsbeistand leisten zu können, aber wenn dir jemand Schaden zugefügt hat, hast du dennoch einen Anspruch auf Entschädigung durch diese Person. Du kannst diesen Anspruch, einen Teil des Anspruchs oder den gesamten Anspruch, an jemand anderen verkaufen. Eigentlich ist es so, als würdest du einen Anwalt auf Erfolgshonorarbasis engagieren. Du könntest deinen Anspruch an jemanden verkaufen, der dazu in der Lage ist, ihn durchzusetzen. Oder, wenn du ohne Erben stirbst, ist eines der Güter, die du hinterlassen hast, in gewissem Sinne dein Anspruch auf Entschädigung und der kann vererbt werden.

(9) Robert Bidinotto: Die meisten werden schlechte Gesetze fordern

Eine weitere Sorge, die Bidinotto hegt – und das ist sozusagen das Gegenteil der Sorge, dass die Reichen herrschen werden – ist: Nun, hat Mises nicht recht, dass der Markt wie eine große Demokratie ist, in der es Verbrauchersouveränität gibt und die Massen bekommen, was sie wollen? Das ist großartig, wenn es um Kühlschränke und Autos und so weiter geht. Aber das ist sicher nicht gut, wenn es um Gesetze geht. Denn schließlich sind die Massen ein Haufen unwissender, intoleranter Narren und wer weiß, was sie für schreckliche Dinge machen werden, wenn sie einfach die Gesetze bekommen, die sie wollen.

Der Unterschied zwischen der Wirtschaftsdemokratie nach Mises und der politischen Demokratie ist natürlich: Ja, sie bekommen, was sie wollen, aber sie müssen dafür bezahlen. Nun, es ist vollkommen richtig, dass Anarchie nicht unbedingt zu libertären Ergebnissen führt, wenn es Leute gibt, die fanatisch genug sind, um anderen Leuten irgendetwas aufzudrängen, wenn es sich dabei um eine ausreichend große Gruppe handelt.

Wenn man in Kalifornien lebt, gibt es genug Leute, die absolut fanatisch für ein Rauchverbot sind, oder wenn man in Alabama lebt und nicht das Rauchen, sondern die Homosexualität verbieten will (weder Rauchen noch Homosexualität könnten durch Verbote verhindert werden, denke ich) – in diesem Fall könnte es passieren, dass sie so fanatisch sind, dass sie es verbieten würden. Aber man bedenke, dass sie dafür bezahlen müssen. Wenn du also deine Monatsrechnung erhältst, siehst du darauf: Einmal die Basisleistung – den Schutz vor Aggression; oh und hier ist auch die erweiterte Leistung mit der Zusatzgebühr dafür, dass die Nachbarn ausgespäht werden, um sicherzustellen, dass sie keinen Tabak konsumieren oder ihre Homosexualität ausleben oder was auch immer es ist, worüber Sie sich Sorgen machen. Die wirklich fanatischen Leute werden sagen: „Ja, ich werde das zusätzliche Geld dafür ausgeben.“ (Natürlich, wenn sie so fanatisch sind, werden sie wahrscheinlich auch in der Minarchie Probleme bekommen.) Aber die weniger fanatischen würden es nur tun, wenn sie sagen könnten: „Wenn ich nicht mehr tun muss, als in eine Wahlkabine zu gehen und für diese Gesetze zu stimmen, die die Freiheit anderer Leute einschränken, nun, verdammt, dann gehe ich hin, weil es so einfach ist, hinzugehen und dafür zu stimmen.“ Aber wenn sie tatsächlich dafür bezahlen müssen, würden sie sagen: „Na ja, ich weiß nicht. Vielleicht ist es okay für mich.“

(10) Robert Nozick und Tyler Cowen: Private Sicherheitsagenturen werden zu einer De-facto-Regierung

Okay, ich gehe auf einen letzten Einwand ein. Es handelt sich um eine Frage, die ursprünglich von Robert Nozick aufgeworfen und von Tyler Cowen weiter vertieft wurde. Nozick sagte: Nehmen wir an, es herrscht Anarchie. Drei Dinge können dann passieren. Entweder werden die Behörden gegeneinander kämpfen – und er benennt zwei verschiedene Szenarien, was passiert, wenn sie kämpfen. Aber ich habe bereits darüber gesprochen, was passiert, wenn sie kämpfen, also werde ich über die dritte Möglichkeit sprechen. Was passiert, wenn sie nicht gegeneinander kämpfen? Dann sagt er, wenn sie stattdessen diesen gegenseitigen Schlichtungsverträgen und so weiter zustimmen, dann verwandelt sich das Ganze im Grunde in einen Staat. Und Tyler Cowen hat dieses Argument noch weiter ausgeführt. Er sagte, dass sich im Grunde genommen ein Kartell bildet, in dessen Interesse es sein wird, sich in eine Art Staat zu verwandeln. Und dieses könnte jede neue Behörde, die auftaucht, einfach boykottieren.

Genauso wie es in deinem Interesse ist, wenn du eine neue Geldautomatenkarte auf den Markt bringst, dass diese mit allen anderen Geräten kompatibel ist, so ist es in deinem Interesse, wenn du eine nagelneue Sicherheitsbehörde gründest, dass du Teil dieses Systems von Verträgen, Schiedsverfahren und so weiter wirst, das die bestehenden Organisationen haben. Die Verbraucher werden sich nicht an dich wenden, wenn sie herausfinden, dass du keine Vereinbarungen vorweisen kannst, die das regeln, wenn du in einen Konflikt mit diesen anderen Organisationen gerätst. Und so wird dieses Kartell in der Lage sein, jeden auszuschließen.
Nun, könnte das passieren? Sicher. Es könnte alles Mögliche passieren. Das halbe Land könnte morgen Selbstmord begehen. Aber ist das wahrscheinlich? Ist es wahrscheinlich, dass dieses Kartell seine Macht auf diese Weise missbrauchen wird? Das Problem ist, dass Kartelle aus den üblichen Gründen instabil sind. Das heißt aber nicht, dass es unmöglich ist, dass ein Kartell Erfolg hat. Schließlich haben die Menschen einen freien Willen. Aber es ist unwahrscheinlich, weil genau die Anreize, die zur Bildung eines Kartells führen, auch dazu führen, dass man das Kartell betrügt – denn es liegt immer im Interesse eines jeden, Vereinbarungen außerhalb des Kartells zu treffen, wenn er einmal dabei ist.

Bryan Caplan unterscheidet zwischen Boykotten, die sich selbst verstärken und Boykotten, die sich nicht selbst verstärken. Selbstverstärkende Boykotte sind solche, bei denen der Boykott ziemlich stabil ist, weil er sich z.B. gegen Geschäfte mit Leuten richtet, die ihre Geschäftspartner betrügen. Nun muss man nicht unbedingt eine eherne moralische Verpflichtung haben, um Geschäfte mit Leuten zu vermeiden, die ihre Geschäftspartner betrügen. Es gibt durchaus ein Eigeninteresse daran, keine Geschäfte mit diesen Leuten zu machen.

Aber wenn du dich stattdessen verpflichtest, mit jemandem keine Geschäfte zu machen, weil du seine Religion oder etwas Ähnliches ablehnst, oder weil er Mitglied in der falschen Sicherheitsorganisation ist, in einer, von der dir die anderen Sicherheitsorganisationen abgeraten haben, dann könnte der Boykott funktionieren. Vielleicht sind genug Leute (vielleicht sogar alle) in dem Kartell so sehr daran interessiert, das Kartell aufrechtzuerhalten, dass sie einfach keine Geschäfte mit der Person machen wollen. Ist das möglich? Ja. Aber wenn wir davon ausgehen, dass sie das Kartell aus ihrem eigenen wirtschaftlichen Eigeninteresse heraus gebildet haben, dann ist das wirtschaftliche Eigeninteresse genau das, was zur Untergrabung führt, weil es in ihrem Interesse ist, mit der Person zu verhandeln, so wie es immer in deinem Interesse ist, einen für beide Seiten vorteilhaften Handel zu betreiben.

Das sind jedenfalls einige der Einwände und meine Antworten darauf. Kommen wir zur Fragerunde.

F1: Mein größtes Bedenken in Bezug auf den Anarchismus ist: Warum kann man nicht sagen, dass die Regierung nur eine weitere Form von Arbeitsteilung ist? Es könnte ja sein, dass manche Menschen besser sind oder natürliche Fähigkeiten besitzen, die sich besser eignen, um über andere zu herrschen. Ich sage nicht, dass Anarchie nicht funktionieren kann, aber allein die Tatsache, dass sich keine der industrialisierten Regionen der Welt in einem Zustand der Anarchie befindet oder jemals für längere Zeit in einem Zustand der Anarchie befunden hat, sagt etwas über die Stabilität oder Lebensfähigkeit komplexer menschlicher Gesellschaften im gegenwärtigen Zustand aus. Und um auf das zurückzukommen, was ich vorhin gesagt habe, kann man sich die Beziehung zwischen Herrscher und Beherrschten als Arbeitsteilung vorstellen. Manche Menschen verfügen über Führungsqualitäten, die es ihnen ermöglichen, Menschen besser zu organisieren als andere. Manchen Menschen fehlt das.

RL: Was die Arbeitsteilung anbelangt: Wenn du etwas besser kannst als ich, dann machst du es und ich kaufe die Dienste von dir. Solange diese Arbeitsteilung freiwillig ist, ist das in Ordnung. Aber wenn es bei der Arbeitsteilung darum geht, dass einige Leute besser herrschen können als andere – nun, wenn ich zustimme, dass du mich beherrschst – vielleicht stelle ich dich als meinen Berater ein, weil ich denke, dass du besser Entscheidungen treffen kannst als ich, also treffe ich eine letzte Entscheidung, nämlich dich als meinen Berater einzustellen und von da an tue ich, was du sagst – das ist keine Regierung. Du bist mein Angestellter, du bist ein Angestellter, dem ich sehr gewissenhaft folge. Aber zu regieren bedeutet, über Menschen ohne deren Zustimmung zu herrschen. Dass die Arbeitsteilung für alle Beteiligten von Vorteil ist, scheint nicht zu gelten, wenn eine Gruppe die andere zwingt, ihre Dienste anzunehmen. Und zu der Frage, warum es in keinem Industrieland Anarchie gibt – natürlich gibt es auch kein Industrieland, in dem Monarchie herrscht. Aber die Industrieländer gibt es ja auch noch nicht so lange. Es gab eine Zeit, in der man sagte, jedes zivilisierte Land (oder fast jedes zivilisierte Land) sei eine Monarchie. Im 17. und 18. Jahrhundert sagten die Menschen: Seht her, alle zivilisierten Länder sind Monarchien; Demokratie würde niemals funktionieren. Und mit der Behauptung, dass die Demokratie niemals funktionieren würde, meinten sie nicht nur, dass sie auf lange Sicht zu verschiedenen schlechten Ergebnissen führen würde. Sie waren einfach der Meinung, dass sie innerhalb weniger Monate völlig im Chaos versinken würde. Was auch immer man von der Demokratie halten mag, sie war lebensfähiger, als sie voraussagten. Jedenfalls konnte sie sich länger halten, als sie vorausgesagt hatten. Die Dinge sind also im Fluss. Es gab eine Zeit, da gab es nur Monarchien. Jetzt sind es halbmonarchische Demokratien. Die Nacht ist noch jung.

F2: Roderick, wir schätzen sicherlich alle die wunderbare Arbeit, die Sie hier am Mises-Institut leisten, aber Ludwig von Mises war kein Anarchist. Ich habe mich daher gefragt, ob Sie uns mehr über Ihr Institut und das Molinari-Institut erzählen könnten.

RL: Mises war nicht wirklich ein Misesianer! [Gelächter] Nun, ich habe meine eigene Denkfabrik. Sie ist etwas kleiner als diese. Ich bin mir nicht sicher, ob sie eine bestimmte Größe hat. Sie besteht aber aus mehr als einer Person. Der Vorstand besteht aus drei Personen. Es sind also drei Personen plus eine Website. Eines Tages wird sie die Erde beherrschen – auf anarchische Weise. Im Moment besteht die Hauptaufgabe darin, verschiedene libertäre und anarchistische Klassiker auf die Website zu stellen. Es gibt einen Ableger davon – die Molinari Society, die aus denselben drei Personen plus einer weiteren besteht. Da, wie Hayek sagte, soziale Tatsachen in der Einstellung der Menschen zu ihnen bestehen, existiert sie umso mehr, je mehr Menschen glauben, dass sie existiert. Die ganze Sache existiert ein bisschen mehr, weil wir uns der American Philosophical Association angeschlossen haben. Die Molinari-Gesellschaft veranstaltet im Dezember eine Sitzung auf den Tagungen der American Philosophical Association. Es wird also tatsächlich eine Molinari-Veranstaltung im Dezember geben, an der die drei Personen plus eine weitere Person teilnehmen. Das ist also der große und glorreiche Fortschritt. Ihr Ziel ist es, die Regierung zu stürzen. Wir haben bei der Regierung eine Steuerbefreiung beantragt. (Wir werden sehen, wie dumm die sind! Wir haben die Beschreibung etwas anders formuliert, als wir die Formulare eingeschickt haben.)

F3: Ich wollte den Punkt unterstützen, den Sie bezüglich des Rand’schen Einwandes, dass Markttransaktionen eine Art legalen Rahmen benötigen, gemacht haben. Die Tatsache, dass es Schwarzmärkte gibt, widerlegt dies. Wenn Sie ein Kokainhändler sind und von Ihrem Zwischenhändler abgezockt werden, können Sie sicherlich nicht vor Gericht gehen und sagen: „Verhaften Sie ihn, er hat mir nicht das Kokain gegeben, das er mir geben sollte …“

RL: Ich bin sicher, dass das schon jemand versucht hat …

F3: … Das kann natürlich sehr leicht zu Gewalt führen. Vergessen Sie nicht, dass es Leute gibt, die aktiv versuchen, Sie zu stoppen. Sie sind an keiner Schlichtung interessiert, sondern nur daran, Sie aktiv davon abzuhalten, es zu tun.

RL: David Friedman argumentiert, dass eine der Hauptfunktionen der Mafia darin besteht, als eine Art Gerichtssystem für Kriminelle zu dienen. Das ist nicht alles, was sie tut, aber die Mafia interessiert sich dafür, was für kriminelle Machenschaften in ihrem Gebiet vor sich gehen – weil sie ihren Anteil haben will, aber sie will auch nicht, dass sich Gangs in ihrem Gebiet gegenseitig erschießen. Wenn du mit jemandem ein kriminelles Geschäft vereinbart hast und ein Konflikt entsteht, weil du betrogen wurdest und dies im Zuständigkeitsbereich einer bestimmten Mafiagruppe geschah, wird sich die Mafia dafür interessieren, solange du deinen Anteil ablieferst. Wenn der andere nicht kooperiert, wird die Mafia wie eine Art Gericht und Polizei handeln. Sie sind eine Art Polizei für Kriminelle.

F4: Was wird verhindern, dass Sicherheitsfirmen zu einem Schutzgelderpresser werden?

RL: Nun, andere Sicherheitsfirmen. Wenn sie damit Erfolg haben, dann sind sie zu einer Regierung geworden. Aber in der Zeit, in der eine Sicherheitsfirma es versucht, ist sie noch nicht zu einer Regierung geworden, also nehmen wir an, dass es noch andere Firmen gibt und es liegt im Interesse dieser anderen Firmen, sicherzustellen, dass dies nicht passiert. Könnte es eine Schutzgelderpressung werden? Könnten sich Sicherheitsorganisationen prinzipiell zu einer Regierung entwickeln? Einige könnten das. Ich denke, dass es in der Vergangenheit wahrscheinlich schon einige gegeben hat. Aber die Frage ist: Ist das ein wahrscheinliches oder unvermeidliches Ergebnis? Ich glaube nicht, denn es gibt einen korrigierenden Mechanismus, der das verhindert. Diese Mechanismen können in der Anarchie genauso versagen wie in Verfassungen, aber es gibt ein entscheidendes Gegengewicht, nämlich die Möglichkeit, andere Sicherheitsorganisationen einzuschalten oder eine andere Sicherheitsorganisation zu gründen, bevor dieses Ding überhaupt die Chance hatte, diese Art von Macht zu erlangen.

F5: Wer erklärt am besten die Entstehung des Staates?

RL: Es gibt eine populäre Theorie des neunzehnten Jahrhunderts über den Ursprung des Staates, die man in verschiedenen Formen findet. Sie findet sich bei Herbert Spencer, bei Oppenheimer und bei einigen französischen Liberalen wie Comte, Dunoyer und Molinari – der eigentlich kein Franzose, sondern Belgier war („Ich bin kein Franzose, ich bin Belgier!“). Diese Theorie – es gab verschiedene Versionen davon, aber sie sind alle ziemlich ähnlich – besagte, dass eine Gruppe eine andere Gruppe erobert. Oft war die Theorie, dass eine Art Jäger- und Plünderergruppe eine landwirtschaftliche Gruppe erobert. In Molinaris Version passiert Folgendes: Zuerst gehen sie einfach hin und töten Leute und nehmen ihre Sachen. Und dann finden sie allmählich heraus: Nun, vielleicht sollten wir warten und sie nicht töten, weil wir wollen, dass sie mehr anbauen, wenn wir das nächste Mal wiederkommen. Also kommen wir stattdessen einfach und schnappen uns ihr Zeug und töten sie nicht und dann werden sie mehr Zeug anbauen und nächstes Jahr kommen wir wieder. Und dann denken sie, na ja, wenn wir ihnen alles wegnehmen, dann haben sie nicht mehr genug Saatgut, um es anzubauen, oder sie haben keinen Anreiz mehr, es anzubauen – sie laufen einfach weg oder so – also nehmen wir nicht alles. Und schließlich denken sie: Wir müssen nicht ständig weggehen und zurückkommen. Wir können einfach einziehen. Und dann entsteht mit der Zeit eine herrschende Klasse und eine beherrschte Klasse. Anfangs sind die herrschende Klasse und die beherrschte Klasse vielleicht ethnisch unterschiedlich, weil es sich um verschiedene Stämme handelt. Aber selbst wenn sich die Stämme im Laufe der Zeit vermischen und es keine Unterschiede in der Zusammensetzung mehr gibt, haben sie immer noch die gleiche Struktur einer herrschenden und einer beherrschten Gruppe. Das war also eine populäre Theorie über den Ursprung des Staates, oder zumindest über den Ursprung vieler Staaten. Ich denke, ein anderer Ursprung einiger Staaten oder staatsähnlicher Gebilde ist in der gleichen Situation zu sehen, aber in Fällen, in denen es ihnen gelingt, die Invasoren abzuwehren. Eine lokale Gruppe innerhalb der von der Invasion betroffenen Gruppe sagt: Wir werden uns auf die Verteidigung spezialisieren – wir werden uns darauf spezialisieren, den Rest von euch gegen diese Eindringlinge zu verteidigen. Und sie haben Erfolg. Wenn man sich die Geschichte Englands anschaut, denke ich, dass genau das mit der englischen Monarchie passiert. Vor der normannischen Eroberung waren die frühesten englischen Monarchen Kriegsführer, deren Hauptaufgabe die Landesverteidigung war. Sie hatten nur sehr wenig innerhalb des Landes zu tun. Sie richteten sich in erster Linie gegen ausländische Invasoren. Aber das war ein Monopol. (Die Frage ist nun, wie sie dieses Monopol erlangt haben. Ich bin mir da nicht so sicher.) Aber als sie es erlangt hatten, wurden sie nach und nach auch immer mehr in die Kontrolle des eigenen Landes einbezogen.

F6: Hector, die Geschichte von Murray über Hector? Sie ist dieser Geschichte sehr ähnlich und sie steht im Internet und es ist einfach eine schöne Geschichte.

RL: Welche Geschichte über Hector ist das?

F6: Die erste, in der es darum geht, warum wir gehen müssen, lass uns einfach dort bleiben …

RL: Oh, ja.

F6: Murray hat das sehr gut gemacht und ich würde es empfehlen.

RL: Wo ist das?

F6: Es steht auf LewRockwell.com.

RL: Ist das einer der Rothbard-Artikel dort?

F6: Richtig. Ich wollte Ihre These auf verschiedene Weise untermauern. Erstens: Ein weiteres Argument für die Anarchie ist, dass man, wenn man wirklich für die Regierung ist, für eine Weltregierung sein muss, denn im Moment herrscht Anarchie zwischen den Regierungen und das können wir nicht haben, wenn man eine Regierung will. Nur sehr wenige Menschen sind für eine Weltregierung und das ist unvereinbar mit den Argumenten gegen Anarchie.

RL: Es muss eine letzte Instanz geben, die entscheidet.

F6: Eine weitere Stütze ist die Frage der Verhandlungen. Die Zeitzonen und die Standardspurweite für Eisenbahnen wurden durch Verhandlungen zwischen den Eisenbahngesellschaften festgelegt.

RL: Und das Internet. Einiges davon ist gesetzlich vorgegeben, aber andere Aspekte sind einfach üblich.

F6: Und eine weitere Bestätigung ist diese Sache mit dem Kartell. Es gab eine Zeit, in der die National Basketball Association acht Teams hatte und sie wollten keine anderen Teams zulassen, also gründeten sie die ABA (die American Basketball Association, mit dem rot-weiß-blauen Ball). Wenn man also ein Kartell hatte, das andere nicht reinließ, konnte man ein anderes Kartell gründen.

RL: Was geschah mit ihnen?

F6: Sie haben sich schließlich zusammengeschlossen. Jetzt gibt es etwa dreißig Teams in der NBA. Und wenn das zu wenig ist, kann noch eine weitere Liga entstehen.

RL: Der entscheidende Punkt ist, dass es in der österreichischen Definition von Wettbewerb nicht um die Anzahl der konkurrierenden Unternehmen geht, sondern um den freien Zugang. Solange es möglich ist, eine weitere Liga zu gründen, kann das den gleichen Effekt haben, wie wenn man es tatsächlich tut.

F6: Neben der Auflösung eines Kartells können auch andere Kartelle entstehen, die mit dem ersten Kartell konkurrieren.

RL: Hatte die XFL gute Auswirkungen? [Gelächter]

F6: Ich wollte eine Frage stellen. In Ihrer Antwort auf die erste Frage, in der Sie sagten, Sie würden ihn zu Ihrem Führer ernennen – bedeutet das, dass Sie auf meiner Seite stehen –

RL: Nein.

F6: – in der Frage der Unveräußerlichkeit?

RL: Nein, nein. Deshalb habe ich gesagt, er sei der Angestellte und nicht der Eigentümer. Ich glaube an unveräußerliche Rechte.

F6: Er ist ein Angestellter, aber Sie können ihn nicht entlassen …

RL: Nein, ich kann ihn entlassen. Er ist mein Berater, ich werde ihm immer folgen – aber ich habe mein Recht, ihn zu entlassen, nicht aufgegeben.

 

(Dieser Artikel stammt aus dem Buch «Voluntarismus».)

Voluntarismus: Aufsätze, Texte und Zitate über die Freiheit

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