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Die Allgegenwärtigkeit der Anarchie

John Hasnas, Ph.D.

John Hasnas1 ist Professor für Recht am Georgetown University Law Center, Professor für Wirtschaft an der McDonough School of Business in Georgetown und geschäftsführender Direktor des Georgetown Institute for the Study of Markets and Ethics.

„Du siehst, aber du beobachtest nicht.“ – Sherlock Holmes zu Dr. John Watson in A Scandal in Bohemia

Einleitung

In diesem Kapitel bin ich gebeten worden, ein Argument für Anarchie zu präsentieren. Das ist eine absurd einfache Aufgabe. In der Tat ist es eine Aufgabe, die sich mit drei Worten erledigen lässt – sieh dich um. Da jedoch die meisten von uns, wie Dr. Watson, sehen, ohne die Bedeutung dessen, was wir sehen, zu erkennen, sind einige Erklärungen nötig.

Anarchie bezieht sich auf eine Gesellschaft ohne zentrale politische Autorität. Der Begriff wird aber auch für Unordnung oder Chaos verwendet. Dies ist ein Paradebeispiel für den Orwell’schen Neusprech, bei dem dieselbe Bezeichnung für zwei verschiedene Konzepte verwendet wird, um das Denken einzuschränken. Denn wenn die Abwesenheit eines Staates mit der Abwesenheit von Ordnung gleichgesetzt wird, wird sich niemand fragen, ob die Abwesenheit eines Staates tatsächlich zu einer Abwesenheit von Ordnung führt. Und diese teilnahmslose Geisteshaltung ist für die Befürwortung des Staates absolut notwendig. Denn wenn die Menschen jemals ernsthaft infragestellen würden, ob der Staat wirklich Ordnung schafft, würde die Unterstützung der Bevölkerung für den Staat fast augenblicklich zusammenbrechen.

Die Gleichsetzung von Anarchie mit Unordnung ist keine triviale Angelegenheit. Es ist nicht zu leugnen, dass unsere Vorstellungen uns für die Realität um uns herum blind machen. Ich selbst habe die Erfahrung gemacht, dass ich in der Nähe der juristischen Fakultät der Temple University in Nord-Philadelphia mit einem brillanten Juraprofessor zu Mittag gegessen habe, der von der absoluten Notwendigkeit der staatlichen Bereitstellung von Polizeidiensten sprach. Er tat dies, als gerade einer der uniformierten privaten bewaffneten Wachleute von Temple vorbeikam, der eine Studentin zur U-Bahn-Haltestelle in diesem von Kriminalität geprägten Viertel begleitete, das von der Polizei von Philadelphia völlig vernachlässigt wird.

Ein weiser Mann sagte mir einmal, dass man am besten beweisen kann, dass etwas möglich ist, wenn man zeigt, dass es existiert. Das ist die Strategie, die ich in diesem Kapitel anwenden werde. Ich beabsichtige zu zeigen, dass eine stabile, erfolgreiche Gesellschaft ohne Regierung existieren kann, indem ich zeige, dass es sie gegeben hat und zu einem großen Teil immer noch gibt.

Begriffsdefinition und Abgrenzung

Ich argumentiere für Anarchie im eigentlichen Sinne des Wortes, d. h. für eine Gesellschaft ohne Herrschaft, nicht für eine Gesellschaft ohne Führung. So etwas wie eine Gesellschaft ohne Führung gibt es nicht. Eine Gesellschaft ohne einen Mechanismus, der Ordnung in die menschliche Existenz bringt, ist ein Widerspruch in sich, sie wäre keine „Gesellschaft“.

Eine Möglichkeit, Ordnung in die Gesellschaft zu bringen, besteht darin, einige Menschen mit der ausschließlichen Befugnis auszustatten, Regeln für alle Mitglieder der Gesellschaft aufzustellen und zwangsweise durchzusetzen, also eine Regierung zu schaffen. Eine andere Möglichkeit, Ordnung in die Gesellschaft zu bringen, besteht darin, den Menschen zu erlauben, Regeln zu befolgen, die sich spontan durch menschliche Interaktion ohne leitende Intelligenz entwickeln und von verschiedenen Instanzen durchgesetzt werden können. Dieses Kapitel bezieht sich auf Letzteres, d. h. auf eine spontan geordnete statt eine zentral geplante Gesellschaft.

In meinem Plädoyer für Anarchie stelle ich die These auf, dass eine Gesellschaft ohne zentrale politische Autorität nicht nur möglich, sondern auch wünschenswert ist. Das ist jedoch alles, was ich tue. Ich plädiere nicht für eine Gesellschaft ohne Zwang. Ich plädiere nicht für eine Gesellschaft, die sich an den libertären Grundsatz der Nicht-Aggression oder einen anderen Grundsatz der Gerechtigkeit hält. Ich plädiere nicht für eine moralisch ideale Organisation der Gesellschaft. Ich plädiere nicht für eine Utopie. Was die ideale Gerechtigkeit und die vollkommen gerechte Gesellschaft ausmacht, ist eine faszinierende philosophische Frage, die jedoch für die gegenwärtige Diskussion irrelevant ist. Ich behaupte lediglich, dass Menschen auch ohne eine zentralisierte Zwangsgewalt erfolgreich zusammenleben und gedeihen können. Das reicht aus, um sich für die Anarchie auszusprechen.

Eine weitere Einschränkung meiner Argumentation ist, dass ich die Frage der Landesverteidigung nicht anspreche. Hierfür gibt es zwei Gründe. Einer ist der logische, dass eine Gesellschaft ohne Regierung eine Gesellschaft ohne Nationen ist. In diesem Zusammenhang ist „nationale“ Verteidigung ein sinnloses Konzept. Man könnte es als These sehen, dass die Befürwortung von Anarchie notwendigerweise auch die Befürwortung einer globalen Anarchie ist. Ich ziehe es vor, es lediglich als Erkenntnis zu sehen, dass Menschen, nicht Nationen, Verteidigung brauchen. Der wichtigere Grund ist jedoch, dass ich das Problem der nationalen Verteidigung aus Gründen, auf die ich später eingehen werde, für trivial halte.2

Die Frage

Ob ein Staat notwendig ist, ist keine abstrakte metaphysische Frage. Es ist eine ganz praktische Frage, die die Bereitstellung von Waren und Dienstleistungen betrifft. Die Befürworter des Staates argumentieren, dass bestimmte Güter oder Dienstleistungen, die für das menschliche Leben in der Gesellschaft wesentlich sind, nur von einem Staat bereitgestellt werden können. Die Anarchisten bestreiten dies. Die Frage ist also, ob es wesentliche Güter oder Dienstleistungen gibt, die nur durch das bewusste Handeln von Menschen bereitgestellt werden können, die mit der Macht ausgestattet sind, allen Mitgliedern der Gesellschaft Regeln aufzuerlegen.

Die Frage ist nicht, ob der „Markt“ alle notwendigen Güter und Dienst- leistungen bereitstellen kann, zumindest nicht der Markt, wie er gewöhnlich von Ökonomen definiert wird. Einige Anarchisten argumentieren, dass der freie Markt alle notwendigen Güter und Dienstleistungen bereitstellen kann. Aber das Argument für Anarchie erfordert nicht, dass man diese Behauptung aufstellt und das tue ich auch nicht. Anarchie erfordert nur und das behaupte ich, dass kein wesentliches Gut oder keine wesentliche Dienstleistung durch die bewussten Handlungen der Vertreter eines zwangsweise aufrechterhaltenen Monopols bereitgestellt werden muss. Richtig verstanden lautet die Frage, ob es einige wesentliche Güter und Dienstleistungen gibt, die durch den Staat bereitgestellt werden müssen oder ob alle diese Güter und Dienstleistungen mit nicht-staatlichen Mitteln bereitgestellt werden können.3

Viele politische Theoretiker sind der Meinung, dass es eine breite Palette von Gütern und Dienstleistungen gibt, die vom Staat bereitgestellt werden müssen. Im vorliegenden Zusammenhang muss jedoch nicht darüber nachgedacht werden, ob der Staat für die Post, die Grundschulbildung oder die allgemeine Krankenversicherung sorgen muss. Die Debatte zwischen Anarchisten und den Befürwortern eines klassischen liberalen Nachtwächterstaates betrifft die Kernfunktionen des Staates. Die Frage lautet also, ob diese Kernfunktionen durch nicht-staatliche Mittel sichergestellt werden können.

Die Antwort

Rechtsstaatlichkeit

GESETZGEBUNG

Die Befürworter des Staates behaupten, dass der Staat notwendig sei, um die grundlegenden Regeln zu schaffen, die dem menschlichen Leben in der Gesellschaft Ordnung geben. Ohne einen Staat, der Gesetze schafft, könnten die Menschen die Gewalt nicht unter Kontrolle halten und ihre Handlungen ausreichend koordinieren, um eine friedliche und wohlhabende Gesellschaft zu schaffen. Sie seien daher zu einer Hobbes’schen Existenz verdammt, die „einsam, arm, gemein, brutal und kurz“ sei.4

Die richtige Antwort darauf lautet: Sieh dich um. Diejenigen von uns, die in den Vereinigten Staaten oder in einem der Länder des britischen Commonwealth leben, leben unter einem äußerst ausgefeilten und subtilen System von Regeln, von denen nur sehr wenige vom Staat geschaffen wurden. Da fast keine der Regeln, die für Frieden und Ordnung in unserem Leben sorgen, vom Staat geschaffen wurden, sollte es kaum eines Arguments bedürfen, um zu begründen, dass der Staat nicht notwendig ist, um solche Regeln zu schaffen. Im Gegenteil, gerade die staatlichen Regeln, neigen dazu, Frieden und Ordnung zu untergraben.

Das anglo-amerikanische Rechtssystem wird oft als Common-Law-Rechtssystem bezeichnet. Das ist bedauerlich, denn gegenwärtig wird „Common Law“ bzw. Gewohnheitsrecht mit „richterlichem“ Recht assoziiert. Im größten Teil der Entstehungszeit des Common Law erschufen die Richter jedoch nicht das Recht, sondern leiteten lediglich Verfahren, in denen Streitigkeiten nach den anerkannten Grundsätzen des Gewohnheitsrechts gelöst wurden. Das englische Gewohnheitsrecht als von Richtern geschaffenes Recht zu bezeichnen, ist daher vergleichbar mit der Beschreibung des Marktes als etwas, das von Ökonomen geschaffen wurde.

Das englische Gewohnheitsrecht ist in der Tat ein fallbezogenes Recht, d. h. ein Recht, das sich spontan aus der Beilegung realer Streitigkeiten entwickelt. Fast das gesamte Recht, das das Grundgerüst unserer heutigen Gesellschaft bildet, wurde auf diese Weise geschaffen. Das Deliktsrecht, das Schutz vor Körperverletzung bietet, das Eigentumsrecht, das die Eigentumsverhältnisse regelt, das Vertragsrecht, das die Grundlage für den Austausch bildet, das Handelsrecht, das komplexe Geschäftstransaktionen erleichtert und sogar das Strafrecht, das schädliches Verhalten bestraft – das alles ist durch diesen evolutionären Prozess entstanden. Es stimmt, dass der größte Teil unseres heutigen Rechts in Form von Gesetzen existiert. Das liegt daran, dass ein Großteil des Gewohnheitsrechts durch Gesetze kodifiziert wurde. Aber die Tatsache, dass Politiker die Weisheit des Gewohnheitsrechts anerkannten, indem sie es in Gesetze umwandelten, beweist kaum, dass der Staat notwendig ist, um rechtliche Regelungen zu schaffen. Vielmehr beweist sie genau das Gegenteil. Das englische Recht ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich das Recht entwickelt, wenn es nicht von der Regierung vorweggenommen wird. Wenn Menschen in einer Gesellschaft zusammenleben, kommt es unweigerlich zu Streitigkeiten. Es gibt nur zwei Möglichkeiten, diese Streitigkeiten beizulegen: gewaltsam oder friedlich. Da Gewalt hohe Kosten verursacht und zu unvorhersehbaren Ergebnissen führt, suchen die Menschen natürlich nach friedlichen Alternativen. Die naheliegendste dieser Alternativen ist die Verhandlung. Im angelsächsischen Raum kam daher die Praxis auf, auf Gewalt zu verzichten, während man versuchte, eine Verhandlungslösung zu finden. Dies geschah, indem der Streit vor die öffentliche Gemeindeversammlung, den Moot, gebracht wurde, dessen Mitglieder, ähnlich wie heutige Mediatoren, versuchten, eine für die gegnerischen Parteien annehmbare Lösung zu finden. Wurde eine solche Einigung erzielt, konnte der Streit auf eine Weise beigelegt werden, die den Frieden in der Gemeinschaft bewahrte.

Der Vorteil dieser Art der Streitbeilegung bestand darin, dass der Moot ein institutionelles Gedächtnis hatte. Wenn die Parteien einen Streitfall vor den Moot brachten, der einem in der Vergangenheit beigelegten Streitfall ähnelte, erinnerte sich jemand an die früheren Bemühungen um eine Einigung. Einigungen, die in der Vergangenheit gescheitert waren, würden nicht wiederholt werden; diejenigen, die erfolgreich waren, schon. Da es sich bei dem Moot um ein öffentliches Forum handelte, entstanden durch die Wiederholung erfolgreicher Methoden der Streitbeilegung in der Gemeinschaft Erwartungen, was der Moot in Zukunft empfehlen würde, was wiederum den Mitgliedern der Gemeinschaft im Voraus vermittelte, wie sie sich zu verhalten hatten. In dem Maße, in dem die Mitglieder der Gemeinschaft ihr Verhalten an diese Erwartungen anpassten und sie bei der Aushandlung späterer Anpassungen berücksichtigten, entwickelten sich allmählich Verhaltensregeln. Dies wiederum ermöglichte die Umwandlung des Streitbeilegungsverfahrens von einem Verfahren, das von Verhandlungen dominiert wurde, zu einem Verfahren, das in erster Linie aus der Anwendung von Regeln bestand. Die Wiederholung dieses Prozesses führte im Laufe der Zeit schließlich zu einem umfangreichen Bestand an Gewohnheitsrecht, das die Grundlage des englischen Common Law bildet.5

Es stimmt, dass sich das Common Law ab dem späten zwölften Jahrhundert an den königlichen Höfen entwickelte, aber das bedeutet nicht, dass der König oder seine Richter das Recht schufen. Ganz im Gegenteil, während des größten Teils seiner Geschichte war das Common Law ausschließlich verfahrensrechtlicher Natur. Fast alle Fragen, mit denen sich die Anwälte und Richter an den königlichen Gerichten befassten, betrafen Fragen der Zuständigkeit oder des Schriftsatzes, d. h. die Frage, ob die Angelegenheit ordnungsgemäß vor Gericht verhandelt wurde und wenn ja, ob die Fragen, die den Geschworenen vorgelegt werden sollten, ordnungsgemäß festgelegt waren. Die angewandten Regeln wurden durch das Gewohnheitsrecht vorgegeben. Harold Berman erklärt:

Das englische Common Law wird üblicherweise als Gewohnheitsrecht bezeichnet … Gemeint ist zweifellos, dass die königlichen Erlasse an den königlichen Gerichten Verfahren zur Durchsetzung von Regeln, Grundsätzen, Normen und Begriffen einführten, die ihre Bedeutung aus Gewohnheit und Brauch bezogen. Die durchzusetzenden Regeln und Grundsätze, Standards und Konzepte … wurden von informellen, ungeschriebenen, nicht erlassenen Normen und Verhaltensmustern abgeleitet.6

 

So identifizierte Blackstone noch 1765 das Common Law mit „allgemeinen Gewohnheiten, die universell gültige Regeln für das gesamte Königreich darstellen und dem Common Law in seiner engeren und üblicheren Bedeutung entsprechen.“7 In der Tat leitet sich das moderne Handelsrecht fast vollständig vom Gewohnheitsrecht der Händler ab, wie es Lord Mansfield im achtzehnten Jahrhundert in das Common Law einfügte.8

Das Interessante am Gewohnheitsrecht ist, dass es nur dort Recht schafft, wo es tatsächlich für ein friedliches Zusammenleben der Menschen erforderlich ist. Nehmen wir die Delikte der Körperverletzung und der Tätlichkeit. Die Körperverletzung verbietet die absichtliche Herstellung eines „schädlichen oder beleidigenden Kontakts“ mit einer anderen Person. Dies verbietet nicht nur direkte Schläge, sondern auch, jemandem einen Teller aus der Hand zu reißen oder ihm Rauch ins Gesicht zu blasen. Körperverletzung verbietet es, eine andere Person absichtlich in Angst zu versetzen, dass sie geschlagen werden könnte, verbietet aber nicht Versuche einer Körperverletzung, von denen das Opfer nichts weiß, oder Drohungen, jemanden in Zukunft zu schlagen. Dieses Deliktsrecht schützt den Einzelnen nicht nur vor körperlich schädigenden Eingriffen, sondern auch vor allen beleidigenden Kontakten sowie vor der Befürchtung, dass eine solche Berührung unmittelbar bevorsteht.

Wenn ich Deliktsrecht unterrichte, fordere ich die Studenten auf, diese Regeln zu berücksichtigen. Da sie aus dem Zeitalter der Gesetzgebung stammen, stürzen sie sich unweigerlich auf irgendeine Theorie der Gerechtigkeit oder der moralischen Verzweiflung oder der Menschenrechte, die es nicht schafft, die Konturen des Gesetzes zu erklären. Schließlich ist der Versuch, jemanden zu misshandeln, moralisch verwerflich, unabhängig davon, ob sich das beabsichtigte Opfer dessen bewusst ist oder nicht und man hat kaum das Recht, nicht beleidigt zu werden.

Die Studenten scheitern daran, dass sie das Gesetz als etwas ansehen, das von einem bewussten menschlichen Handeln geschaffen wurde, um einem bestimmten Zweck zu dienen. Damit übersehen sie die einfachere evolutionäre Erklärung. In früheren Jahrhunderten bestand eines der dringendsten sozialen Bedürfnisse darin, das Ausmaß der Gewalt in der Gesellschaft zu verringern. Das bedeutete, die Menschen davon abzuhalten, Handlungen zu begehen, die wahrscheinlich eine sofortige gewalttätige Reaktion hervorrufen würden. Bei der Beilegung von Streitigkeiten, die aus gewaltsamen Zusammenstößen resultierten, neigten die Lösungen natürlich dazu, diejenigen zu bestrafen, die solche Handlungen begangen hatten. Doch um welche Art von Handlungen handelt es sich? Direkte körperliche Angriffe auf die eigene Person gehören natürlich dazu. Aber auch die Verletzung der Menschenwürde oder andere Angriffe auf die Ehre einer Person können zu Gewalt führen, wenn nicht sogar mehr.

Daher hat sich das Recht der Körperverletzung so entwickelt, dass es nicht nur schädigende, sondern auch beleidigende Kontakte verbietet. Darüber hinaus war ein misslungener Angriff ebenso geeignet, Gewalt zu provozieren, wie ein erfolgreicher Angriff, so dass eine Haftung gegeben war. Wenn das beabsichtigte Opfer jedoch nichts von dem Angriff wusste, konnte er keine gewalttätige Reaktion hervorrufen und wenn die Bedrohung nicht unmittelbar war, hatte die bedrohte Partei Zeit, zu fliehen, die Hilfe anderer in Anspruch zu nehmen oder auf andere Weise gewaltfrei zu reagieren.

Das Recht der Körperverletzung entwickelte sich dahingehend, dass es nur die Androhung einer unmittelbaren Körperverletzung verbietet, dessen sich die Zielperson bewusst war. Dieses Beispiel zeigt, wie das Gewohnheitsrecht die Regeln schafft, die für eine friedliche Gesellschaft mit minimalen Eingriffen in die individuelle Freiheit notwendig sind. Das Recht, das aus der Beilegung tatsächlicher Konflikte hervorgeht, regelt Konflikte. Es schafft keinen Mechanismus zur sozialen Kontrolle. Gewohnheitsrecht ist Recht, das von nicht-politischen Kräften geschaffen wird. Als solches kann es uns Regeln geben, die Eigentumsrechte begründen, die Befugnis zum Abschluss von Verträgen und die Pflicht begründen, angemessene Sorgfalt walten zu lassen, um unsere Mitmenschen nicht zu verletzen, aber nicht solche, die eine Staatsreligion auferlegen, Rassen trennen, einvernehmliche sexuelle Handlungen verbieten oder die Menschen zwingen, ihre Häuser an Bauunternehmer zu verkaufen. Nur die staatliche Gesetzgebung, d. h. Gesetze, die bewusst von demjenigen geschaffen werden, der die politisch vorherrschenden Interessen vertritt, kann uns Regeln geben, die die Freiheit der einen einschränken, um die Interessen oder persönlichen Überzeugungen der anderen zu fördern.

Das ungesetzliche Gewohnheitsrecht liefert uns Regeln, die Frieden und kooperative Aktivitäten erleichtern. Die staatliche Gesetzgebung liefert uns Regeln, die die Ausbeutung der politisch Ohnmächtigen durch die politisch Herrschenden erleichtern. Erstere bringen Ordnung in die Gesellschaft, letztere führen eher zu Unfrieden. Daher ist der Staat nicht nur nicht notwendig, um die grundlegenden Regeln der sozialen Ordnung zu schaffen, sondern ausgerechnet die Regeln, die der Staat schafft, untergra- ben diese Ordnung.

EINHEITLICHKEIT

Staatsbefürworter behaupten, dass der Staat notwendig ist, um sicherzustellen, dass es ein Gesetz für alle gibt und dass das Gesetz für alle Bürger gleichermaßen gilt. Wenn der Staat nicht die Gesetze macht, so die Befürworter, wären sie nicht einheitlich. Für Menschen an verschiedenen Orten, mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund oder unterschiedlichem Wohlstand würden unterschiedliche gesetzliche Regelungen gelten. Die richtige Antwort darauf ist wahrscheinlich die, die Woody Allen Diane Keaton in Annie Hall gab, als sie sich über schlechte Wasserleitungen und Ungeziefer in ihrer Wohnung beschwerte, nämlich: „Sie sagen das, als ob das etwas Negatives wäre.“ Wie überzeugend ist das folgende Argument? Der Staat ist notwendig, um sicherzustellen, dass es eine einheitliche Mode für alle gibt und dass alle Bürger gleich gekleidet sind. Wenn der Staat keine Kleidung zur Verfügung stellt, gäbe es keine einheitliche Mode. Menschen an verschiedenen Orten, mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund oder unterschiedlichem Wohlstand wären in Kleidung von unterschiedlichem Stil und von unterschiedlicher Qualität gekleidet.

Warum sollte jemand glauben, dass einheitliche Gesetze erstrebenswerter ist als einheitliche Kleidung? Das Streben nach Einheitlichkeit führt dazu, dass wir den liebenden Ehemann, der seine unheilbar kranke Frau tötet, um ihr Leiden zu lindern, genauso behandeln wie Charles Manson, dass wir auf erfahrene Geschäftsleute, die Unternehmen kaufen und auf halbgebildete Verbraucher, die Ratenzahlungsverträge abschließen, dieselben Vertragsregeln anwenden und so tun, als ob für den Slumbesitzer in der Bronx und die Familie, die ihr Gästezimmer in Utica vermietet, dieselben vermögensrechtlichen Vorschriften gelten sollten.

Natürlich gibt es bestimmte Regeln, die für alle Menschen gelten müssen, und zwar jene Regeln, die die Grundvoraussetzungen für kooperatives Verhalten schaffen. So müssen Regeln, die Mord, Körperverletzung, Diebstahl und verschiedene Formen der Nötigung verbieten, für alle Mitglieder einer Gesellschaft gleichermaßen verbindlich sein. Aber wir brauchen kaum einen Staat, um dies zu gewährleisten. Diese Regeln entwickeln sich in jeder Gemeinschaft immer zuerst. Wäre das nicht so, gäbe es nicht einmal eine Gemeinschaft.

Die Vorstellung, dass wir eine Regierung brauchen, um eine einheitliche Rechtsordnung zu gewährleisten, ist besonders in den Vereinigten Staaten verrückt, wo die föderale Struktur der Regierungen der Bundesstaaten und der Nation darauf ausgelegt ist, rechtliche Vielfalt zu ermöglichen. Soweit das Recht der Vereinigten Staaten eine Überlegenheit gegenüber dem Recht anderer Nationen beanspruchen kann, ist dies zumindest teilweise auf die Tatsache zurückzuführen, dass es durch den Prozess des Common Law im „Laboratorium der Staaten“ entstanden ist.9 Indem wir die Entwicklung unterschiedlicher Regeln in verschiedenen Staaten zulassen, lernen wir, welche Regeln Streitigkeiten am effektivsten lösen. Im gleichen Maße, in dem die Bedingungen, die zu Streitigkeiten führen, im ganzen Land die gleichen sind, werden die erfolgreichen Regeln von anderen Gerichtsbarkeiten kopiert und verbreitet. Auf diese Weise entsteht ein recht einheitlicher Rechtsbestand.10 Im gleichen Maße, in dem die Bedingungen, die zu Streitigkeiten führen, für einen bestimmten Ort oder ein bestimmtes Milieu typisch sind, verbreiten sie sich nicht. Auf diese Weise entsteht ein Flickenteppich von Regeln, die dort, wo sie angewandt werden, nützlich sind, aber irrelevant oder störend wären, wenn sie in anderen Bereichen gelten würden.

Das Schöne am Common-Law-Prozess ist, dass er einen Rechtsbestand schafft, der dann einheitlich ist, wenn Einheitlichkeit sinnvoll ist und dann vielfältig ist, wenn keine Einheitlichkeit gefragt ist. Das ist optimal.

Die staatliche Gesetzgebung hingegen schafft Uniformität, indem sie einer geografisch und ethnisch vielfältigen Bevölkerung unpassende, einheitliche Regeln auferlegt. Noch einmal: Der Staat ist für die Schaffung eines gut funktionierenden Rechtssystems nicht nur nicht notwendig, sondern er ist ein erhebliches Hindernis dafür. Warum sollten etwa in den orthodoxen jüdischen Vierteln von Brooklyn die Geschäfte am Sonntag nicht öffnen dürfen?

ZUGÄNGLICHKEIT

Die Staatsbefürworter behaupten, dass die Regierung die Gesetze erlassen muss, damit sie für die Bürger zugänglich sind, die von ihnen regiert werden. Die Regierung verkündet ihre Gesetze in Gesetzbüchern, die allen Bürgern zugänglich sind. Die Regeln des Common Law seien dagegen für den Laien unverständlich. Das Gewohnheitsrecht bestehe aus Regeln, die über lange Zeiträume aus Fällen abstrahiert wurden und seien nur den Richtern und Anwälten bekannt, die sich im Rahmen ihrer Berufsausübung damit befassen. Ein Rechtssystem, das von den Bürgern verlangt, Anwälte zu engagieren, nur um herauszufinden, um was für Gesetze es sich handeln soll, sei offensichtlich inakzeptabel.

Die richtige Antwort darauf lautet: Ist das euer Ernst? Schaut euch einfach mal um. Bitte! Kann ein Normalsterblicher überhaupt die ganzen unzähligen undurchsichtigen staatlichen Vorschriften kennen, an die er sich halten muss? Habt ihr jemals den Code of Federal Regulations gelesen? Wann habt ihr das letzte Mal versucht, eure Einkommensteuererklärung zu erstellen? Die Kritiker des Gewohnheitsrechts behaupten, Laien bräuchten Fachleute, die ihnen die Gesetze erklären. Doch Jahr für Jahr zeigen Studien, dass selbst die meisten professionellen Steuerberater und die Mitarbeiter des Finanzamts die Steuergesetze der Vereinigten Staaten nicht verstehen. Die allgemeine Rechtsregel, die die Bürger vor unbeabsichtigten Verletzungen schützt, ist die Anforderung, die Sorgfalt walten zu lassen, die eine vernünftige Person anwenden würde, um anderen keinen Schaden zuzufügen. Das ist einfach und verständlich genug. Weiß jemand, welche Vorschriften die Federal Trade Commission, die Consumer Product Safety Commission und die National Highway Traffic Safety Administration erlassen haben, um das gleiche Ziel zu erreichen?

Das Gewohnheitsrecht besteht aus Regeln, die sich im Laufe der Zeit als erfolgreich bei der Lösung von Streitigkeiten erwiesen haben. Nur Regeln, die für den Normalbürger verständlich sind und seinem Gerechtigkeitsempfinden entsprechen, können diesen Status erreichen. Regeln, die für denjenigen, der sie anwenden soll, unzugänglich sind, können nicht wirksam sein. Aus diesem Grund enthalten beispielsweise die Regeln des Common Law für das Vertrags- und Handelsrecht ausdrückliche Verweise auf die üblichen Geschäftspraktiken und die Pflicht, in gutem Glauben zu handeln. Es ist auch kein juristisches Fachwissen erforderlich, um zu wissen, dass das Recht der Selbstverteidigung es erlaubt, tödliche Gewalt anzuwenden, um einen lebensbedrohlichen Angriff abzuwehren, aber nicht, den Angreifer zu erschießen, nachdem die unmittelbare Gefahr vorüber ist. Um die Regeln des Gewohnheitsrechts zu verstehen, muss man kein Anwalt sein, sondern nur Mitglied der jeweiligen Gemeinschaft sein, für die die Regeln gelten.

Die Gesetze der Regierung hingegen muss weder etwas mit dem Verständnis noch mit dem moralischen Empfinden eines gewöhnlichen Menschen zu tun haben. Die Gesetze sind ein durch den politischen Prozess geschaffenes Recht. Als solches ist es von Natur aus von politischen Erwägungen abhängig. Solche Erwägungen können zu Regeln führen, die für den Normalbürger unverständlich sind und sie sind es auch häufig. Dies liegt nicht nur daran, dass Partikularinteressen den Gesetzgebungsprozess beeinflussen können. Selbst wenn sich die Gesetzgeber selbstlos dem Gemeinwohl verschrieben hätten, bräuchten sie dennoch Grundsätze für Gerechtigkeit oder ein moralisches Ideal, um ihre Gesetzgebung daran auszurichten. Es gibt jedoch keine Garantie dafür, dass die Maßnahmen, die zur Durchsetzung solcher Grundsätze oder Ideale erforderlich sind, dem Verständnis des Normalbürgers entsprechen. Das Bürgerrechtsgesetz von 1964 mag die edelste gesetzgeberische Anstrengung unserer Zeit gewesen sein, aber der Normalbürger wird wohl kaum verstehen, warum die Forderung, dass Pizzaboten glatt rasiert sein müssen, eine illegale Rassendiskriminierung darstellt11 oder wie sich ein Unternehmen, dessen Belegschaft fast ausschließlich aus Minderheiten besteht, dennoch der Diskriminierung schuldig machen kann.12

Betrug, wie er sich im Common Law entwickelt hat, besteht in der vorsätzlichen Falschdarstellung einer wesentlichen Tatsache, auf die sich ein anderer verlässt, wenn er sich von seinem Eigentum trennt. Für den Normalbürger ist es nicht schwer zu erkennen, dass eine solche Handlung gegen das Gesetz verstoßen kann. Betrug im Sinne der Bundesgesetzgebung ist jede Art von Betrugsversuch. Eine falsche Darstellung von Tatsachen ist dafür nicht erforderlich. Jede irreführende Aussage oder Verschweigen von Tatsachen genügt. Es ist nicht erforderlich, dass jemand tatsächlich in die Irre geführt wird oder sich auf die Aussage oder das Verschweigen von Tatsachen verlässt. Es ist nicht erforderlich, dass jemand einen Schaden erleidet.13 Martha Stewart wurde kürzlich wegen Wertpapierbetrugs vor Gericht gestellt, weil sie öffentlich ihre Unschuld am Insiderhandel erklärt hatte.14 Man kann wohl mit Fug und Recht behaupten, dass der Normalbürger nicht weiß, dass Stewarts Äußerungen gegenüber den Medien eine Straftat darstellen.

Ich verstehe das Argument, dass, wenn wir einen Nachtwächterstaat hätten, dessen Gesetzgebung sich auf einfache, klare Regeln beschränkt, die die Rechte des Einzelnen sichern sollen, das Gesetz vollkommen zugänglich wäre. Es gibt nur zwei Probleme mit diesem Argument. Das erste ist, dass die Gesetzgebung in einem solchen Fall lediglich die Grundregeln des Gewohnheitsrechts wiedergeben würde. Es besteht keine Notwendigkeit, eine Regierung zu bilden, nur um diese Regeln bekannt zu machen. Dies kann auf privater Ebene geschehen und wird auch getan. Die „Neufassungen“ des Gewohnheitsrechts werden derzeit privat erstellt, sind leicht zugänglich und werden häufig zitiert. Der zweite Grund ist, dass es unmöglich ist. Die Vorstellung, dass es eine überschaubare Reihe einfacher, klarer Regeln gibt, die eine friedliche, freie Gesellschaft bewahren können, ist ein Hirngespinst.15 Das wird sogar im Hinblick auf die grundlegenden Regeln zum Verbot von Aggression deutlich, sobald man versucht, die Bedingungen zu spezifizieren, unter denen Gewalt zur Selbstverteidigung oder zur Verteidigung anderer eingesetzt werden darf oder durch Irrglauben oder Unzurechnungsfähigkeit entschuldigt ist. Und das, ohne zu bedenken, dass diese grundlegenden Regeln durch die Regeln des Vertrags-, Eigentums- und Deliktsrechts ergänzt werden müssen, die notwendig sind, damit die Menschen ihr Verhalten gut genug koordinieren können, um friedlich zu kooperieren.

Die Gesetzgebung, selbst die libertäre, wird entweder das Gewohnheitsrecht reproduzieren oder von ihm abweichen, um ein politisches Interesse zu befriedigen oder eine bestimmte Vorstellung von Gerechtigkeit zu verwirklichen. Im ersten Fall ist sie genauso zugänglich oder unzugänglich wie das Gewohnheitsrecht. Im zweiten Fall weicht es von der Moral des gesunden Menschenverstands ab und schafft Regeln, die weniger zugänglich sind als das Gewohnheitsrecht. Der Staat ist nicht nur nicht notwendig, um die Zugänglichkeit der Rechtsnormen zu gewährleisten, sondern er macht sie unweigerlich weniger zugänglich.

Gerichte

Nachdem wir nun die Legislative abgeschafft haben, was ist mit der Judikative? Die Staatsbefürworter behaupten, dass der Staat notwendig sei, um ein Gerichtssystem für die Beilegung von Streitigkeiten bereitzustellen. Wenn der Staat nicht „einen bekannten und neutralen Richter“16 zur Verfügung stellen würde, hätten die Menschen keine Möglichkeit, zwischenmenschliche Streitigkeiten friedlich beizulegen. Da „die Menschen sich selbst gegenüber parteiisch sind“17, würden die gegnerischen Parteien unweigerlich versuchen, Richter einzusetzen, die ihre Interessen begünstigen und die Richter, die ihr Honorar von den Streitparteien erhalten, würden natürlich diejenigen bevorzugen, die am meisten zahlen können. Folglich wären sie nicht unparteiisch. Da die Parteien nicht in der Lage wären, sich auf einen neutralen Schiedsrichter zu einigen, wären sie gezwungen, ihre Streitigkeiten gewaltsam auszutragen. Ohne staatliche Gerichte ist eine friedliche Koexistenz also unmöglich.
Ich weiß, das wird jetzt langweilig, aber die richtige Antwort darauf ist: Schaut euch um. Wir befinden uns im Zeitalter der Globalisierung. Geschäfte werden auf der ganzen Welt zwischen Parteien aus praktisch allen Ländern abgeschlossen. Obwohl es weder eine Weltregierung noch einen Weltgerichtshof gibt, führen Unternehmen wegen Vertragsstreitigkeiten keinen Krieg gegeneinander. Die Nachrichten sind fast immer Nachrichten über gewaltsame Konflikte. Gerade das Fehlen von Berichten über internationale Geschäftsstreitigkeiten ist ein Beweis dafür, dass internationale Handelsstreitigkeiten tatsächlich ohne die staatliche Bereitstellung von Gerichten gelöst werden. Wie kann das sein?

Die Antwort ist denkbar einfach. Die an internationalen Geschäften beteiligten Parteien wählen, in der Regel im Voraus, aus den vielen ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten den von ihnen bevorzugten Streitbeilegungsmechanismus aus. Nur wenige entscheiden sich für ein Verfahren, bei dem die Situation eskaliert wird. Es ist zu teuer und unberechenbar. Viele entscheiden sich dafür, ihre Streitigkeiten dem Londoner Handelsgericht vorzulegen, einem britischen Gericht, das für die wirtschaftliche Kompetenz seiner Richter und die rasche Beilegung von Fällen bekannt ist und von nichtbritischen Parteien gegen eine Gebühr in Anspruch genommen werden kann.18 Andere schließen sich Unternehmen wie JAMS/Endispute oder der American Arbitration Association an, die Mediations- und Schiedsgerichtsdienste anbieten. Die meisten tun alles in ihrer Macht Stehende, um zu vermeiden, dass sie in die Mühlen der Gerichte geraten, die von der Regierung des Bundes und der Bundesstaaten der Vereinigten Staaten bereitgestellt werden und die sich unerträglich langsam bewegen und relativ unvorhersehbare Ergebnisse liefern. Diese Indizien deuten darauf hin, dass das internationale Handelsrecht nicht nur recht gut ohne staatliche Gerichte funktioniert, sondern gerade deshalb besser funktioniert.

Aber man muss nicht über die Landesgrenzen hinausgehen, um festzustellen, dass die Menschen keine staatlichen Gerichte brauchen, um Streitigkeiten friedlich beizulegen. In Arbeitsverträgen werden nicht nur Löhne und Arbeitsbedingungen festgelegt, sondern es wird auch eine eigene Gerichtsbarkeit am Arbeitsplatz geschaffen, die ein ordnungsgemäßes Verfahren garantiert und ein Berufungsverfahren vorsieht. Universitäten bieten regelmäßig ihre eigenen Gerichtsverfahren an, ebenso wie Wohnungseigentümergemeinschaften. Börsenmakler verpflichten sich als Bedingung für ihre Anstellung, arbeitsrechtliche Streitigkeiten einem verbindlichen Schiedsverfahren zu unterziehen.19

Religiöse Gruppen schlichten Streitigkeiten unter ihren Mitgliedern regelmäßig durch Anrufung eines Priesters oder Rabbiners. Benachteiligte Gruppen, für die ein Verfahren vor staatlichen Gerichten aufgrund von Vorurteilen eine Farce ist, entwickeln leicht alternative Mechanismen zur gewaltfreien Beilegung von Streitigkeiten.20 Versicherungsgesellschaften bieten nicht nur Entschädigung für Personen- und Sachschäden, sondern auch Haftpflichtversicherungen an, mit denen sie die Verantwortung für die Beilegung von Konflikten zwischen ihren Kunden und denen anderer Versicherungsgesellschaften gemäß vorher festgelegter Vereinbarungen übernehmen, die es ihnen ermöglichen, den Morast des staatlichen Gerichtssystems zu vermeiden. Und es ist empirisch erwiesen, dass ein erheblicher Teil der Rechtsstreitigkeiten ohne Gerichtsverfahren beigelegt wird, wenn potenzielle Streitparteien im staatlichen Gerichtssystem in die Mediation verwiesen werden.21

Aber seht euch nicht nur um. Blickt zurück. Steuerlich gestützte Gerichte der allgemeinen Gerichtsbarkeit sind ein modernes Phänomen. Das anglo-amerikanische Recht entwickelte sich im Kontext einer Vielzahl konkurrierender Rechtssysteme. Die königlichen Gerichtshöfe existierten nach ihrer Entstehung parallel zu den bereits vorher existierenden Hundertschafts-, Grafschafts-, Herrschafts-, Stadt-, Kirchen- und Handelsgerichten.22 Diese Gerichtssysteme hatten fließende Zuständigkeitsgrenzen und da die Gerichte ihre Gebühren von den Prozessparteien erhoben, konkurrierten sie miteinander um Geschäfte. In der Tat gingen das Vertrags- und Treuhandrecht, das sich an den kirchlichen Gerichten entwickelte und das Handelsrecht, das sich an den Handelsgerichten entwickelte, als Ergebnis dieses Wettbewerbs in das Common Law ein. Außerdem bestanden die königlichen Gerichte selbst aus vier verschiedenen, miteinander konkurrierenden Gerichten: King’s Bench, Common Pleas, Exchequer und Chancery. Diese Gerichte zogen wie die anderen ihre Gebühren von den Prozessparteien ein und konkurrierten daher untereinander um Mandanten. Erst mit dem Judicature Act von 1873 und dem Appellate Jurisdiction Act von 1876 fügte die britische Regierung ihre Gerichte zu ihrer heutigen monolithischen, hierarchischen Struktur zusammen und die amerikanischen Gerichte folgten diesem Beispiel in unterschiedlichen zeitlichen Abständen.

Wenn man sich auf den Wettbewerb zwischen den Gerichten des Common Law konzentriert, wird die Vielfalt der tatsächlich eingesetzten Streitbeilegungsmechanismen irreführend unterschätzt. Da die Kosten für die Inanspruchnahme der Gerichte des Common Law für den typischen Arbeiter zu hoch waren, waren diese Gerichte für die Mehrheit der Bevölkerung praktisch irrelevant. Die meisten Bürger lösten ihre Streitigkeiten nach informellen, gewohnheitsmäßigen Verfahren, die je nach Ort (Stadt oder Land) und Klasse derjenigen, die sie anwandten, unterschiedlich waren.23

Da sich unsere heutige relativ gewaltfreie, kapitalistische Gesellschaft im Kontext eines vielfältigen und wettbewerbsfähigen Systems von Gerichten und Streitbeilegungsmechanismen entwickelt hat, kann es nicht sein, dass die Bereitstellung von Gerichten durch den Staat für die friedliche Beilegung von Streitigkeiten notwendig ist. Tatsächlich legt ein Vergleich des Ausmaßes an erbitterter Unzufriedenheit, das die heutige staatlich gelenkte Justiz hervorruft (man denke nur an das Tort Reform Movement) mit derjenigen, die mit dem vielfältigeren traditionellen System der Streitbeilegung verbunden ist, den Schluss nahe, dass die staatliche Bereitstellung von Gerichten den sozialen Frieden eher verringert als erhöht.

Polizei

Unabhängig davon, ob sie staatliche Gesetze und Gerichte für erforderlich halten, bestehen die Staatsbefürworter darauf, dass die Polizei ausschließlich vom Staat bereitgestellt werden muss. Es mag zutreffen, dass der Markt die meisten Güter und Dienstleistungen angemessen bereitstellen kann, aber Polizeidienstleistungen seien insofern einzigartig, als sie von Natur aus die Anwendung von Zwang beinhalten. Es läge auf der Hand, dass keine zivilisierte Gesellschaft einen Wettbewerb bei der Anwendung von Gewalt zulassen könne. Die Zivilgesellschaft sei gerade deshalb entstanden, um dieser Situation zu entkommen. Solange der Staat die Gewaltanwendung nicht unter seine monopolistische Kontrolle brächte, sei eine friedliche Koexistenz unmöglich und das Leben in der Tat so „ekelhaft, brutal und kurz“24, wie Hobbes behauptete.

Bevor ich als Antwort erneut vorschlage, sich umzusehen, sollte man einen Moment lang über die Dummheit dieses Arguments nachdenken. Denn wenn die Zivilgesellschaft ohne ein staatliches Zwangsmonopol nicht existieren kann, dann gibt es auch keine Zivilgesellschaft. Gesellschaften entstehen nicht aus sich selbst heraus mit staatlichen Polizeikräften. Sobald eine Gruppe von Menschen herausgefunden hat, wie sie das Ausmaß der zwischenmenschlichen Gewalt so weit reduzieren kann, dass ein Zusammenleben möglich ist, entwickeln sich oft Einheiten, die als Regierungen erkennbar sind und die Polizeifunktion übernehmen. Selbst eine marodierende Bande, die anderen durch Eroberung eine Regierung aufzwingt, muss zunächst die internen Streitigkeiten so weit reduziert haben, dass sie sich für wirksame militärische Operationen organisieren kann. Sowohl historisch als auch logisch gesehen steht die friedliche Koexistenz immer an erster Stelle, staatliche Dienstleistungen an zweiter. Wenn eine Zivilgesellschaft ohne staatliche Polizei nicht möglich ist, dann gibt es auch keine Zivilgesellschaften.

In dem Broadway-Musical Oliver aus den 1960er Jahren gibt es ein Lied namens „Be Back Soon“, in dem Fagins Jungs die Zeile „We know the Bow Street Runners“ singen. Die Bow Street Runners waren berühmt, weil sie Londons erste staatlich geförderte Polizeitruppe waren, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts von den Richtern des Bow Street Court, Henry und John Fielding, organisiert wurde. Ich denke, man kann mit Fug und Recht behaupten, dass die Gründung der Bow Street Runners nicht der Moment war, in dem London von einem Hobbes’schen Naturzustand in eine Zivilgesellschaft umgewandelt wurde.

Man beachte auch die Verquickung von Polizeidiensten mit Zwang. Zwang kann aggressiv zum Zwecke des Raubes oder defensiv zur Abwehr von Räubern eingesetzt werden. Polizeidienstleistungen beinhalten den Einsatz von Zwang nur für defensive Zwecke. Der Wettbewerb zwischen Angreifern ist in der Tat eine schlechte Sache, die der Existenz einer Zivilgesellschaft entgegensteht. Aber es ist kein Wettbewerb um die Bereitstellung von Polizeidienstleistungen. Wenn der Wettbewerb zwischen denjenigen, die defensiven Zwang anbieten, unweigerlich zum Äquivalent eines aggressiven Bandenkrieges führen würde, dann würden wir einen solchen Wettbewerb vermeiden wollen. Ob dies der Fall ist, ist jedoch die eigentliche Frage, um die es hier geht. Den Wettbewerb zwischen den Anbietern von Polizeidienstleistungen mit dem Wettbewerb zwischen den Angreifern gleichzusetzen, geht an der Frage völlig vorbei. Damit weicht man eher einem Argument aus, als dass man es vorbringt.

Aber ich schweife ab. Die richtige Antwort auf die Behauptung, der Staat müsse Polizeidienste bereitstellen, lautet: Sieh dich um. Ich arbeite an einer Universität, die ihre eigene Campus-Polizei unterhält. Auf dem Weg dorthin fahre ich an einem privat betriebenen Geldtransporter vorbei, der Geld und andere wertvolle Gegenstände für Banken und Unternehmen transportiert. Wenn ich in die Innenstadt fahre, betrete ich Gebäude, die von privaten Sicherheitsfirmen betreut werden, bei denen ich mich vor dem Betreten anmelden muss. Ich kaufe in Einkaufszentren und Kaufhäusern ein, die von ihren eigenen privaten Wachleuten bewacht werden. Im Einkaufszentrum stöbere ich gelegentlich in einem Geschäft der Security Zone, das Ausrüstung für den persönlichen und häuslichen Schutz verkauft. Ich unterhalte mich mit Anwälten und ab und zu mit verärgerten Ehepartnern oder besorgten Eltern, die Privatdetektive beauftragen, für sie zu ermitteln. Ich schreibe Bücher darüber, wie die US-Bundesregierung private Unternehmen dazu zwingt, für sie strafrechtliche Ermittlungen durchzuführen.25 Als ich jünger war, besuchte ich Nachtclubs und Bars, die „Türsteher“ beschäftigten. Obwohl es mir persönlich noch nie passiert ist, kenne ich Leute, die von privaten Inkassobüros kontaktiert oder von Repo-Männern besucht wurden. Ab und zu treffe ich Leute, die fast so bekannt sind wie Rockstars und mit eigenen Leibwächtern reisen. Am Ende des Tages kehre ich nach Hause in meine Gemeinde zurück, die ihre eigene Nachbarschaftswache hat. Vielleicht übersehe ich etwas, aber ich habe nicht bemerkt, dass diese Leute versuchen, ihre Konkurrenten gewaltsam auszuschalten.

Aber das liegt doch daran, dass die staatliche Polizei im Hintergrund dafür sorgt, dass keine dieser privaten Organisationen aus der Reihe tanzt, behaupten die Staatsbefürworter. Tatsächlich? Wie erklärt sich das mit London vor den Bow Street Runners? Die Polizei von New York City wurde erst 1845 gegründet. Das Boston Police Department, das sich selbst als „die erste bezahlte, professionelle Abteilung für öffentliche Sicherheit im Lande“26 bezeichnet, kann seine Geschichte nur bis 1838 zurückverfolgen. Was hielt die nicht-politischen Polizeidienste vor diesen Jahren in Schach?

Ungeachtet der philosophischen Überlegungen von Hobbes und Locke gab es während des größten Teils der englischen Geschichte kaum eine staatliche Bereitstellung von Polizeidiensten.27 Als die englischen Könige lernten, wie man Einnahmen eintreibt, indem sie alle Gewalttätigkeiten und sündigen Handlungen zu einem Bruch des königlichen Friedens erklärten, für den sie Strafzahlungen erhoben, begannen sie damit, einen Verwaltungsapparat zu entwickeln, der die Eintreibung von Bußgeldern für „kriminelle“ Handlungen erleichtern sollte. So wurde der örtliche Vertreter der Krone, der Vogt (später Sheriff), mit der Anzeige und schließlich der Festnahme von Straftätern betraut. So weit so gut. Da die Sheriffs jedoch nur an der Verfolgung von Straftätern interessiert waren, die über die nötigen Mittel zur Zahlung der Strafe verfügten, machte dies nie einen nennenswerten Teil der polizeilichen Tätigkeit innerhalb des Reiches aus. Die üblichen, unpolitischen Methoden der Polizeiarbeit sorgten bis vor kurzem für die Sicherheit des größten Teils der Bevölkerung Englands.

Der älteste Bruder meines Vaters, der 1902 geboren wurde, erzählte mir oft von der Tontinenversicherung, an der mein Großvater über seine Bruderschaft teilnahm. Sie enthielt sowohl eine Risikolebensversicherung als auch eine Altersrente. Seit der Einführung des staatlichen Sozialversicherungsprogramms hört man nicht mehr viel von der Tontinenversicherung. Die meisten Einwohner von New York City, die davon ausgehen, dass nur der Staat das U-Bahn-System der Stadt bereitstellen und instand halten kann, sind verwundert darüber, warum ein Teil des Systems BMT und ein Teil IRT heißt. Sie haben keine Ahnung, dass die Stadt New York 1940 die privat gebaute und betriebene Brooklyn-Manhattan Transit Corporation und die Interborough Rapid Transit Company gekauft hat, um die von der Stadt betriebene Metropolitan Transportation Authority zu gründen. Wenn der Staat anfängt, Dienstleistungen zu übernehmen, die früher privat bereitgestellt wurden, vergessen die Menschen schnell, dass diese Dienstleistungen ursprünglich privat erbracht wurden und glauben, dass nur der Staat für sie sorgen kann. Doch genauso wenig wie dies für die Altersversorgung und die U-Bahn gilt, trifft dies auf den Polizeidienst zu. Traditionell wurden Polizeidienstleistungen nicht vom Staat erbracht und sie werden es zum großen Teil auch heute nicht. Daher ist der Staat nicht notwendig, um Polizeidienste bereitzustellen.

Die Staatsbefürworter können behaupten, dass ein staatliches Monopol aufgrund der besonderen Merkmale von Polizeidiensten diese effizienter erbringen kann als nicht-politische Einrichtungen. Ich muss zugeben, dass an diesem Argument a priori nichts auszusetzen ist. Es ist sicherlich möglich, dass im Bereich der Polizeidienste ein Wunder geschieht und die Ausstattung einer einzigen politisch gelenkten Behörde mit der Befugnis, die gewünschten Dienstleistungen zu erbringen, indem sie von allen Mitgliedern der Gesellschaft unfreiwillige Zahlungen verlangt, tatsächlich zu einem besseren Ergebnis führt als die Erbringung der Dienstleistungen auf nichtstaatlichem Wege. Ich kann jedoch in der realen Welt keinen Beweis dafür finden. Wenn Polizeidienstleistungen von einem politisch kontrollierten Monopol erbracht werden, erhält die Öffentlichkeit allem Anschein nach Polizeidienstleistungen, die von politischen und nicht von Effizienzüberlegungen geleitet werden. So werden missliebige, politisch machtlose Gruppen in der Regel unterversorgt, polizeiliche Ressourcen werden häufig für politisch bevorzugte Zwecke eingesetzt (z. B. die Bekämpfung von opferlosen Verbrechen) und nicht für das, wofür sie eingesetzt werden sollten (z. B. die Bekämpfung von Gewalt). Die Art der Dienstleistung wird eher von politischen Haushaltsüberlegungen als vom tatsächlichen Bedarf bestimmt (z. B. SWAT-Teams in Wisconsin). Da die staatlichen Polizeibehörden nicht auf freiwillige Beiträge angewiesen sind, ist die Wahrscheinlichkeit geringer, dass sie auf die Sorgen der Öffentlichkeit eingehen (z. B. Polizeibrutalität) und anfälliger für Korruption sind (siehe z. B. den Bericht der Knapp-Kommission28 oder sieh dir einfach den Film Serpico an).

Die Staatsbefürworter verweisen oft auf die hohe Kriminalitätsrate in den Innenstädten, auf die gewalttätigen Banden, das organisierte Verbre- chens und die Drogenkartelle, um zu begründen, warum wir es nicht wa- gen sollten, das staatliche Monopol für Polizeidienste aufzugeben. Ich gebe zu, dass mich dieses Argument verwirrt. Wie kann das Aufzeigen des völli- gen Versagens des staatlichen Polizeisystems ein Argument für dessen Notwendigkeit sein?

Es ist erwähnenswert, dass das gegenwärtige Kriminalitätsproblem dort am größten ist, wo nicht-staatliche Methoden der Polizeiarbeit am vollständigsten vom Staat verdrängt wurden. Die Innenstädte sind die Gebiete, die am stärksten von staatlicher Polizeiarbeit abhängig sind. Die Behauptung, dass die hohe Kriminalitätsrate in den Innenstädten und das Vorhandensein von Banden bedeutet, dass wir ein staatliches Monopol für Polizeidienste aufrechterhalten müssen, ist in etwa so, als würde man behaupten, dass die miserable Qualität der öffentlichen Schulen in den Innenstädten bedeutet, dass wir den Eltern nicht erlauben sollten, ihre Kinder mit ihren Steuergeldern auf Privatschulen zu schicken. Und es kann kaum überraschen, dass es schwierig ist, die gewalttätigen Organisationen zu unterdrücken, die existieren, um die Schwarzmärkte auszunutzen, die durch die staatlichen Verbote der legalen Vermarktung von Drogen, Prostitution, Glücksspiel und anderen „Lastern“ entstanden sind. Aber inwiefern dies ein Beweis für die Notwendigkeit einer staatlichen Polizei sein soll, ist mir schleierhaft.

Würde man einen Besucher vom Mars bitten, die am wenigsten wirksame Methode zur Sicherung von Personen und Eigentum zu nennen, könnte er wohl antworten, dass sie darin bestünde, eine Gruppe von Menschen auszuwählen, ihnen Waffen zu geben, von allen Mitgliedern der Gesellschaft zu verlangen, sie unabhängig von der Qualität der von ihnen geleisteten Dienste zu bezahlen und sie mit dem Ermessen auszustatten, Ressourcen einzusetzen und Prioritäten bei der Strafverfolgung festzulegen, wie sie es für richtig halten, wobei sie nur den Launen ihrer politischen Zahlmeister unterworfen sind. Wenn man ihn fragt, warum er so denkt, könnte er einfach auf die Polizei von Los Angeles, New Orleans oder einer anderen Großstadt verweisen. Ist eine staatliche Polizei wirklich notwendig für eine friedliche, sichere Gesellschaft? Sieh dich einfach um. Könnte ein nicht-politisches, nicht-monopolistisches System der Bereitstellung von Polizeidienstleistungen wirklich schlechter sein als sein staatliches Gegenstück?

Internalisierung externer Effekte

Staatsbefürworter argumentieren oft, dass der Staat für die notwendige Regulierung von Marktaktivitäten unerlässlich sei. Einzelpersonen, die auf einem Markt miteinander Verträge abschließen, handelten oft in einer Weise, die anderen Schaden zufüge oder ihnen nicht zugestandene Kosten aufbürde. Hersteller stellten Produkte her und Verbraucher kauften Produkte, deren Verwendung ein inakzeptables Verletzungsrisiko für Dritte darstelle. So könnten beispielsweise Automobilhersteller Autos herstellen, deren Geschwindigkeit oder Fahreigenschaften ein unangemessenes Verletzungsrisiko für Fußgänger darstellten. Und die Autofahrer würden diese Autos kaufen. Ölgesellschaften könnten Öl auf eine Art und Weise zu den Verbrauchern transportieren, die ein unangemessenes Risiko von Ölverschmutzungen mit sich bringe, die das Land oder die Gewässer, über die das Öl transportiert werde, verschmutzen würden. Allgemeiner ausgedrückt: Da die Menschen die Kosten, die ihre Aktivitäten anderen auferlegen, nicht tragen, handelten sie oft in einer Weise, die der Gesellschaft höhere Kosten auferlege, als durch den persönlichen Nutzen, den sie erzielen, gerechtfertigt wäre. Diese nicht berücksichtigten Kosten für andere seien die sozialen Kosten der Markttätigkeit, die Ökonomen als negative externe Effekte bezeichnen. Staatsbefürworter sind der Meinung, dass nur der Staat das Marktgeschehen regulieren könne, um sicherzustellen, dass private Unternehmer die sozialen Kosten ihrer Transaktionen berücksichtigen. Selbst wenn Gesetze, Gerichte und Polizeidienste auf nichtstaatlichem Wege bereitgestellt werden könnten, sei der Staat also unerlässlich, um externe Kosten zu internalisieren.

Ich muss gestehen, dass ich nicht weiß, wie ich auf dieses Argument reagieren soll. Sich umzusehen, reicht nicht aus. Die Tatsache, dass dieses Argument überhaupt plausibel sein soll, beweist, dass die Menschen die Welt um sich herum völlig vergessen können. Wie kann man in einer Welt, in der eines der beherrschenden politischen Themen die Reform des Haftungsrechts ist, in der Unternehmen sich ständig beim Kongress darüber beschweren, dass sie dadurch überreguliert sind und die Regierung anflehen, sie vor dieser Methode der Internalisierung von Externalitäten zu schützen, ernsthaft behaupten, dass staatliche Regulierung notwendig sei, um das Problem der sozialen Kosten zu lösen?

Es stimmt, dass Ökonomen ein fiktives Reich postulieren, in dem die Menschen freiwillig und frei von jeglicher Art von Regulierung handeln. Aber sie tun dies, weil eine solche idealisierte Vorstellung vom Markt für ihre Erforschung der Wissenschaft der menschlichen Interaktion nützlich ist, ebenso wie das Konzept eines perfekten Vakuums für Physiker, die die Naturgesetze erforschen, nützlich ist und nicht, weil sie glauben, dass es irgendetwas mit der Realität zu tun hat. In der realen Welt unterliegt die menschliche Interaktion immer der Regulierung: durch Gewohnheiten, durch ethische und religiöse Überzeugungen der Menschen und in unserem Rechtssystem durch das Gewohnheitsrecht. Das Haftungsrecht hat sich als Teil des Rechts entwickelt, um die Personen und das Eigentum des Einzelnen vor den unüberlegten Handlungen seiner Mitmenschen zu schützen, d. h., um externe Effekte zu internalisieren. Nur wenn man die Existenz aller Formen nichtstaatlicher Regulierung ignoriert, d.h. nur wenn man glaubt, dass das Marktmodell der Ökonomen die Realität beschreibt, kann man glauben, dass der Staat notwendig sei, um das Problem der sozialen Kosten zu lösen. Natürlich sollte man nie die Macht eines konzeptionellen Modells unterschätzen, das Intellektuelle für die realen Vorgänge in der Welt blind macht.

Aber, so die Staatsbefürworter, das Gewohnheitsrecht kann niemals ein angemessener Regulierungsmechanismus sein, weil es zwangsläufig rückwirkend wirkt. Klagen werden erst erhoben, nachdem ein Schaden entstanden ist. Daher könnte die zivilrechtliche Haftung niemals die Art von proaktiver Regulierung bieten, die notwendig ist, um ernsthaften Schaden zu verhindern. Wirklich? Die Grundregeln des Haftungsrechts verbieten es dem Einzelnen, andere absichtlich zu schädigen und verlangen von ihm, dass er mit angemessener Sorgfalt handelt, um zu vermeiden, dass er versehentlich Schaden verursacht. Daran ist nichts Rückwirkendes. Es stimmt zwar, dass genau festgelegt werden muss, was unter angemessener Sorgfalt zu verstehen ist, aber in dieser Hinsicht unterscheidet sich das Gewohnheitsrecht nicht von einer staatlichen Gesetzgebung, die eine allgemeine Regel ankündigt und es dann den Gerichten überlässt, zu entscheiden, wie sie in bestimmten Fällen anzuwenden ist. Außerdem kann das Common Law in geeigneten Fällen prospektiv wirken. Die Unterlassungsverfügung, eine Anordnung, eine bestimmte Handlung nicht vorzunehmen, hat sich genau für die Fälle entwickelt, in denen das Verhalten einer Partei ein hohes Risiko eines nicht wieder gutzumachenden Schadens für andere darstellt.29 Übrigens ist auch die staatliche Gesetzgebung fast immer rückwirkend. Die Grenzen des menschlichen Wissens (ganz zu schweigen von Erwägungen der öffentlichen Entscheidung) bedeuten, dass der Gesetzgeber selten in der Lage ist, künftigen Schaden genau vorherzusehen. Das Megan’s-Gesetz schreibt vor, dass die Öffentlichkeit benachrichtigt werden muss, wenn ein bekannter Sexualstraftäter in eine Gemeinde zieht. Das Gesetz heißt Megan’s Law, weil es erlassen wurde, nachdem Megan von einem Sexualstraftäter, der in ihrer Gemeinde lebte, getötet wurde. Wenn ich mich richtig erinnere, wurde Sarbanes-Oxley nach dem Zusammenbruch von Enron verabschiedet. Und wann wurde der USA Patriot Act verabschiedet? Ach ja, nach 9/11.

Bis 1992 wurde in Fast-Food-Restaurants Kaffee mit einer Temperatur zwischen 180 und 190°F [rund 80 bis 90°C] serviert, eine Temperatur, bei der der Kaffee bei Kontakt mit der menschlichen Haut in zwei bis sieben Sekunden Verbrennungen dritten Grades verursachen kann. Angesichts der Tatsache, dass der in Styroporbechern servierte Kaffee häufig verschüttet wird, stellte dies ein erhebliches Risiko schwerer Verletzungen dar. Ich habe keine proaktive gesetzliche Regelung zur Internalisierung dieser Externalität feststellen können. 1992 erwirkte Stella Liebeck ein Urteil gegen McDonald’s für die Verletzungen, die sie erlitten hatte, als sie sich mit Kaffee bekleckerte, und zwar in Höhe ihrer Arztkosten und des Gewinns, den McDonald’s in zwei Tagen durch den wissentlichen Verkauf von Kaffee mit einer gefährlich hohen Temperatur erzielte.30 Am nächsten Tag servierte jedes Fast-Food-Restaurant in den Vereinigten Staaten seinen Kaffee mit einer Temperatur von 158°F [70°C], einer Temperatur, bei der es 60 Sekunden dauert, bis Verbrennungen dritten Grades auftreten; eine ausreichende Zeitspanne für die Kunden, um den Kaffee von ihrer Kleidung oder Haut abzuwischen. Mit dem heutigen Haftungsrecht mag vieles nicht in Ordnung sein,31 aber dass es nicht in der Lage ist, externe Effekte zu internalisieren, gehört ganz sicher nicht dazu. Man kann nur dann glauben, dass der Staat notwendig sei, um das Problem der sozialen Kosten zu lösen, wenn man die Natur des Gewohnheitsrechts und der staatlichen Gesetzgebung nicht kennt.

Öffentliche Güter

Die Staatsbefürworter behaupten, dass der Staat notwendig sei, um „öffentliche Güter“ bereitzustellen, also Güter, die für das menschliche Wohlergehen wichtig sind, aber vom Markt entweder nicht oder nur unzureichend bereitgestellt werden können. Öffentliche Güter sind Güter, deren Verbrauch nicht konkurrierend ist, d.h. ihre Nutzung durch eine Person beeinträchtigt nicht die Nutzung durch eine andere. Und sie sind nicht exklusiv, d.h. wenn das Gut einer Person zur Verfügung steht, steht es allen zur Verfügung, unabhängig davon, ob sie zur Produktion des Gutes beitragen oder nicht. Die Staatsbefürworter behaupten, dass solche Güter ohne den Staat nicht produziert werden können, weil die Menschen aufgrund des Trittbrettfahrer- und Bereitstellungsproblem nicht freiwillig das für ihre Produktion erforderliche Kapital bereitstellen werden. Das Trittbrettfahrerproblem bezieht sich auf die Tatsache, dass viele Menschen, die in den Genuss öffentlicher Güter kommen, ohne dafür zu bezahlen, ihren Beitrag zur Produktion der Güter zurückhalten und versuchen werden, von den Beiträgen anderer zu profitieren. Das Bereitstellungsproblem bezieht sich auf die Tatsache, dass die Menschen ihren eigenen Beitrag eher als Geldverschwendung betrachten und ihn zurückhalten, wenn sie nicht sicher sein können, dass andere genügend zur Produktion des Gutes beitragen werden. Daher sei der Staat notwendig, um die Produktion wichtiger öffentlicher Güter sicherzustellen.

Die richtige Antwort auf die Behauptung, dass der Staat notwendig sei, um öffentliche Güter zu produzieren, lautet: Was zum Beispiel? Zum Beispiel Leuchttürme? Das Licht, das sie liefern, steht allen Schiffen zur Verfügung und wenn es von einem genutzt wird, beeinträchtigt das nicht den Wert für andere. Aber Moment mal, Leuchttürme können auch privat betrieben werden und wurden auch schon privat betrieben.32 Wie Radio und Fernsehen? Ein Witzbold, den ich kenne, sagt gerne, dass er jeden Abend etwas Unmögliches tut, indem er kommerzielles Fernsehen schaut. Schließlich sind Fernsehsignale nicht konkurrenzlos im Verbrauch und nicht exklusiv. Daher können sie nicht vom Markt produziert werden. So wie das Internet? Aber halt, auch das ist privat finanziert.

Vielleicht wie Polizei und Gerichte? Theoretiker behaupten häufig, dass Polizeidienste und Gerichte öffentliche Güter sind, die vom Staat bereitgestellt werden müssen. In Bezug auf Polizeidienste wird die Behauptung wie folgt begründet:

Die Sicherheit von Personen ist in hohem Maße ein kollektives Gut. … Ein wichtiger Teil der von der öffentlichen Polizei und den Strafrechtssystemen im Allgemeinen erbrachten Dienstleistung besteht darin, potenzielle Straftäter davon abzuhalten, Menschen zu schaden. Und diese Abschreckung ist ein unteilbares, nicht ausschließbares Gut für Nachbarn und Besucher … Neben der Abschreckung kann es auch einen Nutzen geben, der aus der Inhaftierung des Diebes folgt – Diebstahl unmöglich zu machen – ein Nutzen, der ebenfalls unteilbar ist und von dem andere nicht ausgeschlossen werden können. Die soziale Ordnung, zumindest die Sicherheit von Personen und Gütern, ist also in erheblichem Maße ein kollektives Gut. Dementsprechend kann die soziale Ordnung in dem Maße, in dem dies der Fall ist, ohne einen Staat nicht effizient gewährleistet werden.33

 

Ähnlich wird in Bezug auf Gerichte behauptet, dass private Gerichte keinen Anreiz haben, klare Präzedenzfälle zu schaffen, die zu Regeln führen, weil das Vorhandensein eindeutiger und allgemein bekannter Verhaltensregeln einen nicht ausschließbaren Nutzen für alle darstellt. Da eindeutige Präzedenzfälle „einen externen, unentgeltlichen Nutzen nicht nur für künftige Parteien, sondern auch für konkurrierende Richter bedeuten würden, … könnten Richter es absichtlich vermeiden, ihre Ergebnisse zu erläutern, weil die Nachfrage nach ihren Diensten durch Regeln, die die Bedeutung des Gesetzes klären und die Häufigkeit von Streitigkeiten verringern, zurückgehen würde.“34 Daher seien staatliche Gerichte für die Entwicklung von Rechtsnormen notwendig.

Dies sind vollkommen logische theoretische Argumente, nur werden sie durch die Realität widerlegt. Der Beweis dafür, dass Polizeidienste und Gerichte keine öffentlichen Güter sind, besteht darin, dass sie, wie Leuchttürme, Fernsehen und das Internet, während des größten Teils der Menschheitsgeschichte nicht durch den Staat bereitgestellt wurden. Es stimmt natürlich, dass, wenn der Staat Gebiete mit nicht in seinem Besitz befindlichem, politisch kontrolliertem Eigentum schafft, an deren Erhaltung keine private Partei ein Interesse hat, es nur wenig Polizeidienste an diesen Orten geben wird. Die polizeiliche Betreuung dieses „öffentlichen“ Eigentums muss möglicherweise tatsächlich vom Staat übernommen werden. Dies liegt jedoch nicht daran, dass Polizeidienste ein öffentliches Gut sind, das nicht vom Markt bereitgestellt werden kann, sondern daran, dass Polizeidienste nicht bereitgestellt werden, wenn der Markt vom Staat unterdrückt wird. Und obwohl es sicherlich richtig ist, dass private Polizeidienste eine unkompensierte positive Externalität erzeugen, da ihre abschreckende Wirkung auch diejenigen sicherer macht, die nicht dafür bezahlt haben, kann dies kaum ein Grund für die Annahme sein, dass solche Dienste nicht produziert werden. Es ist in der Tat ziemlich schwierig, sich eine nützliche Tätigkeit vorzustellen, die keine unkompensierten positiven externen Effekte erzeugt. Wenn ich ein Deodorant benutze und mich anziehe, ist das sicherlich der Fall, aber der Staat ist nicht verpflichtet, mich zu bezahlen, damit ich mich wasche und anziehe. Darüber hinaus ist es zumindest seltsam, zu behaupten, dass ein System wettbewerbsorientierter Gerichte keine Rechtsregeln hervorbringt, wo doch die Regeln, auf denen unsere Zivilisation beruht, gerade aus einem solchen System hervor- gegangen sind.35

Wie die Landesverteidigung? Die Landesverteidigung ist vielleicht das archetypische öffentliche Gut. Die Sicherheit, die sie bietet, ist nicht rivalisierend im Verbrauch und kommt allen Mitgliedern der Gesellschaft zugute, ob sie dafür bezahlen oder nicht. Kann die Landesverteidigung ohne den Staat angemessen gewährleistet werden?

Wenn sich „Landesverteidigung“ auf die Art von Militärausgaben bezieht, die mit den heutigen nationalen Regierungen verbunden sind, ist die Antwort ein klares „Nein“. Sobald ein Staat mit der Macht ausgestattet ist, den Reichtum seiner Bürger zu enteignen, um die Landesverteidigung zu gewährleisten, sieht fast jede gewünschte Ausgabe wie ein Erfordernis der Landesverteidigung aus. Schon bald werden die Unterstützung südostasiatischer Diktatoren und der Sturz von Diktatoren im Nahen Osten als dringende Belange der nationalen Verteidigung bezeichnet. Die Tatsache, dass es keine nichtstaatliche Möglichkeit gibt, ausreichend Kapital für die Umsetzung dieser Vorstellung von Landesverteidigung zu beschaffen, sagt nichts über die Lebensfähigkeit der Anarchie aus, sondern ist vielmehr ein weiteres Argument für die Märkte.

Wenn sich der Begriff „Landesverteidigung“ jedoch nur auf das bezieht, was unbedingt notwendig ist, um die Bürger einer Nation vor Angriffen von außen zu schützen, bin ich bereit zuzugeben, dass ich die Antwort auf diese Frage nicht kenne. Dieses Eingeständnis bereitet mir jedoch kein Unbehagen, denn wie ich eingangs sagte, ist die Frage der Landesverteidigung in praktischer Hinsicht eine triviale Angelegenheit. Niemand glaubt, dass wir von einer Welt der Staaten augenblicklich zur Anarchie übergehen können. Kein vernünftiger Anarchist befürwortet die totale Auflösung der Regierung von heute auf morgen. Sobald wir uns der Frage zuwenden, wie wir schrittweise von der Regierung zur Anarchie übergehen können, wird deutlich, dass die Landesverteidigung eine der letzten Regierungsfunktionen wäre, die entstaatlicht werden müsste. Wenn mein Argument für die Anarchie fehlerhaft ist und die Anarchie keine praktikable Methode der gesellschaftlichen Organisation darstellt, wird dies zweifellos zutage treten, lange bevor die Abschaffung der Landesverteidigung ein Thema wird. Andererseits wird in dem Maße, in dem der allmähliche Übergang von der Regierung zur Anarchie erfolgreich ist, die Notwendigkeit der Landesverteidigung kontinuierlich abnehmen.

Bedenke, was es für eine Nation bedeuten würde, ernsthaft einen Prozess der Entstaatlichung einzuleiten. Jede Verringerung der Größe und des Umfangs des Staates setzt mehr kreative Energie der Bevölkerung frei. Die wirtschaftlichen Auswirkungen dieses Prozesses sind bekannt und werden derzeit in China demonstriert. Wie Ökonomen betonen, können revolutionäre Veränderungen durch marginale Effekte herbeigeführt werden. Selbst ein langsamer Liberalisierungsprozess, der über einen längeren Zeitraum aufrechterhalten wird, führt zu einer massiven Beschleunigung des wirtschaftlichen und technologischen Wachstums. Und der Zuwachs an Freiheit und Wohlstand in der sich liberalisierenden Nation würde auch tiefgreifende externe Effekte haben. Viele der mutigsten und fleißigsten Bewohner repressiverer Nationen würden versuchen, in die sich liberalisierende Nation einzuwandern und einige andere Nationen würden vom Beispiel der sich liberalisierenden Nation lernen und beginnen, ihre Politik zu kopieren.

In dem Maße, in dem sich die wirtschaftliche und technologische Kluft zwischen der liberalisierenden Nation und dem Rest der Welt vergrößert, je abhängiger die Welt von den Waren und Dienstleistungen wird, die von dieser Nation hergestellt und geliefert werden und je stärker eine größere Zahl anderer Nationen dazu bewegt wird, selbst eine liberalisierende Politik zu betreiben, desto eher nimmt die Bedrohung ab, die der Rest der Welt für die liberalisierende Nation darstellt. Ein Beweis dafür ist der Un- tergang der Sowjetunion. Radikale Regimes und terroristische Organisationen mögen eine ernsthafte und anhaltende Bedrohung darstellen, aber man muss sie im historischen Kontext betrachten. Eine solche Bedrohung ist wesentlich weniger ernst und kostengünstiger zu bewältigen als die Gefahr eines thermonuklearen Krieges.

Es sei daran erinnert, dass wir nur die Kosten für den Schutz der Bürger vor Aggressionen betrachten, nicht aber die Kosten für ausländische Abenteuer oder „präventive“ Kriegsführung. Wie groß ist die Bedrohung durch eine ausländische Invasion, der die Vereinigten Staaten derzeit ausgesetzt sind? Wie viel von den Ausgaben für die „nationale Verteidigung“ wird tatsächlich für die Verhinderung einer solchen Invasion aufgewendet? Wie groß wird die wirtschaftliche und technologische Kluft zwischen der vorgeburtlichen Anarchie und den repressiveren Nationen nach Jahren oder Jahrzehnten der kontinuierlichen und anhaltenden Verkleinerung des Staates sein? Wie viel ausgereifter wird die Verteidigungstechnologie sein? Um wie viel abhängiger werden die repressiven Nationen von ihren Waren und Dienstleistungen sein? Wenn eine Nation beginnt, den Weg in die Anarchie einzuschlagen, wird sich die Frage, ob die Landesverteidigung ein öffentliches Gut ist, das vom Staat bereitgestellt werden muss, mit großer Wahrscheinlichkeit erübrigen.

Schlussfolgerung

Aristoteles nannte den Menschen das rationale Tier und bezeichnete die Fähigkeit des Menschen zur Vernunft als sein wesentliches Definitionsmerkmal. Meiner Meinung nach ist dies ein Irrtum. Ich denke, der Mensch ist das phantasievolle Tier. Der Mensch hat zweifellos die Fähigkeit zur Vernunft, aber er hat auch die Fähigkeit, sich vorzustellen, dass die Welt anders ist als sie ist und letzteres ist eine viel stärkere Kraft. Die Menschen feuern die Chicago Cubs an, weil sie sich vorstellen können, dass die Cubs die World Series gewinnen, trotz aller gegenteiligen Signale. Menschen heiraten regelmäßig, weil sie sich vorstellen können, dass sie ihren offensichtlich inkompatiblen Partner in den idealen Ehemann oder die ideale Ehefrau verwandeln werden. Menschen investieren Zeit, Mühe und Geld in politische Kampagnen, weil sie sich vorstellen können, dass sich Washington D. C. in ein Camelot verwandeln würde, wenn nur Bill Clinton oder Bob Dole oder George W. Bush oder John Kerry gewählt würden. Und was noch wichtiger ist: Menschen melden sich freiwillig zum Krieg, weil sie sich vorstellen können, unbeschadet durch ein Maschinengewehrfeuer zu rennen. Nur die Fähigkeit, sich ein Leben nach dem Tod vorzustellen, für das es keinerlei Beweise gibt, kann erklären, warum Menschen sich Sprengstoff umschnallen und sich in die Luft sprengen, um so viele unschuldige Menschen wie möglich zu töten.

Habt ihr euch jemals gefragt, warum die Menschen an das göttliche Recht der Könige geglaubt haben, obwohl die Monarchen ihrer Zeit ganz offensichtlich nicht die Art von Menschen waren, die ein allwissender, allgütiger Gott als Herrscher auswählen würde? Sie glaubten daran, weil man sie lehrte, daran zu glauben und weil sie sich vorstellen konnten, dass es so war, ungeachtet aller gegenteiligen Beweise. Wir glauben nicht mehr an so alberne Dinge wie das göttliche Recht der Könige. Wir glauben, dass eine Regierung für eine geordnete, friedliche Gesellschaft notwendig ist und dass man sie dazu bringen kann, nach rechtsstaatlichen Grundsätzen zu funktionieren. Wir glauben dies, weil es uns von Kindesbeinen an beigebracht wurde und weil wir uns vorstellen können, dass es so ist, ungeachtet aller gegenteiligen Beweise.

Man sollte niemals die Macht abstrakter Konzepte unterschätzen, die die Sichtweise der Menschen auf die Welt prägen. Wenn man erst einmal die Vorstellung akzeptiert hat, dass ein Staat für Frieden und Ordnung notwendig ist und dass er objektiv funktionieren kann, wird die eigene Vorstellungskraft einem erlauben, die Hand des Staates überall dort zu sehen, wo es Gesetz, Polizei und Gerichte gibt und die nichtstaatliche Bereitstellung dieser Dienste unsichtbar zu machen. Lässt man diesen begrifflichen Rahmen jedoch lange genug beiseite, um zu fragen, woher diese Dienstleistungen stammen und woher sie größtenteils immer noch stammen, erhält die Welt ein anderes Gesicht. Wer auf der Suche nach dem besten Argument für Anarchie ist, sollte einfach seine selbst auferlegten Scheuklappen abnehmen und sich umsehen.

1 Associate Professor, Georgetown University, J.D., Ph.D., LL.M. Der Autor dankt Ann C. Tunstall von SciLucent, LLC für ihre aufschlussreichen Kommentare und literarischen Ratschläge und Annette Hasnas von der Montessori-School of Northern Virginia für eine reale Veranschaulichung, wie sich Regeln in Abwesenheit einer zentralen Autorität entwickeln. Der Autor dankt auch Ava Hasnas aus Falls Church, Virginia, für ihre unschätzbare Hilfe bei seinem Zeitmanagement.
2 Siehe infra S. 129.
3 In diesem Kapitel wird der Begriff „politisch“ für den Output der Regierung und „nicht-politisch“ für das Produkt aller anderen Formen des Handelns verwendet.
4 T. Hobbes, Leviathan 107 (H. Schneider, ed., 1958) (1651).
5Für eine ausführlichere Darstellung dieses Prozesses siehe John Hasnas, Toward a Theory of Empirical Natural Rights 22, Social Philosophy and Policy 111 (2005) und John Hasnas, Hayek, the Common Law, and Fluid Drive 1, New York University Jour- nal of Law & Liberty 79 (2005). Siehe auch Arthur R. Hogue, Origins of the Common Law, ch. 8 (1966).
6 Harold Berman, Law and Revolution 81 (1983).
7 William Blackstone, Commentaries on the Laws of England 67 (1765). Siehe auch Frederick Pollock, First Book of Jurisprudence 254 (6th ed. 1929): „Das Gewohnheits- recht ist ein Gewohnheitsrecht, wenn es im Laufe von etwa sechs Jahrhunderten durch den unzweifelhaften Glauben und die einheitliche Sprache aller, die Gelegenheit hatte, die Sache zu betrachten, zu einem solchen gemacht werden konnte.“
8 Siehe Leon E. Trakman, The Law Merchant: The Evolution of Commercial Law 27 (1983). Die Geschichte der Entwicklung des modernen Handelsrechts aus dem Ge- wohnheitsrecht des Kaufmanns ist eine oft erzählte Geschichte. Zusätzlich zu Trak- mans Darstellung siehe auch Harold Berman, Law and Revolution ch. 11 (1983); Bruce Benson, The Enterprise of Law 30–35 (1990); and John Hasnas, Toward a Theory of Empirical Natural Rights, 22 Social Philosophy and Policy 111, 130–31 (2005). Für eine nützliche Darstellung des Gewohnheitsrechts im englischen Common Law siehe Todd Zywicki, The Rise and Fall of Efficiency in the Common Law: A Supply-Side Analysis, 97 Nw. U. L. Rev. 1551 (2003). Siehe auch J.H. Baker, An Introduction to English Legal History 72–74 (4th ed. 2002) und John Hasnas, Hayek, Common Law, and Fluid Drive 1, New York University Journal of Law & Liberty 79 (2005).
9 Siehe New State Ice Co. v. Liebmann, 285 U.S. 262, 311 (1932) (Brandeis, J., dissenting).
10 Gerecht, aber nicht fetischistisch. Das Gesetz gegen Tötungsdelikte funktioniert recht gut, obwohl die Definitionen von Mord ersten und zweiten Grades sowie von freiwilliger und unfreiwilliger Tötung von Staat zu Staat unterschiedlich sind.
11 Siehe Bradley v. Pizzaco of Nebraska, Inc., 7 F.3d 795 (8th Cir. 1993).
12 Siehe Connecticut v. Teal, 457 U.S. 440 (1982).
13 Für eine ausführlichere Darstellung der bundesstaatlichen Betrugsgesetze siehe John Hasnas, Ethics and the Problem of White Collar Crime, 54 American University Law Review 579 (2005).
14 Siehe Anklageschrift, United States v. Stewart 37 (S.D.N.Y. 2003) (No. 03 Cr. 717).
15 Mehr dazu in John Hasnas, The Myth of the Rule of Law, 1995 Wisconsin Law Review 199 (1995).
16 John Locke, Second Treatise of Government 66 (C.B. Macpherson, ed. 1980) (1690).
17 Id.
18 Siehe Mark Heaney, „Where Business is King: London’s Commercial Court Hears International Clashes,“ Nat’l L.J., June 5, 1995, at C1; Campbell McLachlan, „London Court Reigns as an International Forum: Parties in Cross-Border Disputes Welcome the Commercial Court’s Expertise, Neutrality, and Speed“, Nat’l L.J., June 5, 1995, at C4.
19 Natürlich ist dies in erster Linie eine Maßnahme, die es Finanzunternehmen ermöglichen soll, dem Sumpf der arbeitsrechtlichen Streitigkeiten in den Vereinigten Staaten zu entkommen.
20 Siehe Yaffa Eliach, “Social Protest in the Synagogue: The Delaying of the Torah Reading”, in There Once Was a World 84–86.
21 Siehe Joshua D. Rosenberg and H. Jay Folberg, “Alternative Dispute Resolution: An Empirical Analysis”, 46 Stan. L. Rev. 1487 (1994).
22 Siehe Harold Berman, Law and Revolution (1983).
23 Siehe E.P. Thompson, Customs in Common: Studies in Traditional Popular Culture (1993).
24 T. Hobbes, Leviathan 107 (H. Schneider, ed., 1958) (1651).
25 Siehe John Hasnas, Trapped: When Acting Ethically Is Against the Law (2006).
26 Siehe Internetseite des Boston Police Department: http://www.cityofboston.gov/police/glance.asp.
27 Siehe Bruce Benson, The Enterprise of Law 73–74 (1990).
28 Siehe Knapp Commission, The Knapp Commission Report on Police Corruption (1973).
29 Um eine einstweilige Verfügung nach dem Common Law zu erwirken und damit die Freiheit eines anderen Bürgers zu beschneiden, muss man eine sehr hohe Beweisschwelle erfüllen, indem man eine hohe Wahrscheinlichkeit eines irreparablen Schadens nachweist. Dies steht im Gegensatz zur staatlichen Gesetzgebung, die die Freiheit der Bürger einschränken kann, wann immer die politisch dominierende Fraktion des Gesetzgebers dies für notwendig hält und sei es nur, um das „Vorsorgeprinzip“ durchzusetzen. Ich überlasse es dem Leser, zu entscheiden, welcher Standard der bessere ist, um potenziellen künftigen Schaden zu vermeiden.
30 Das Urteil wurde um 20 Prozent herabgesetzt, um das Mitverschulden von Frau Liebeck hinsichtlich der Art und Weise, wie sie den Becher öffnete, zu berücksichtigen. Der Betrag wurde in der Berufung weiter herabgesetzt.
31 Fast alle davon sind nicht auf die Entwicklung des Common Law zurückzuführen, sondern auf die Bemühungen des zwanzigsten Jahrhunderts, das Ergebnis dieser Entwicklung zu verbessern. Siehe John Hasnas, „What’s Wrong with a Little Tort Reform?“ 32 Idaho Law Review 557 (1996).
32 Siehe Ronald H. Coase, „The Lighthouse in Economics,“ 17 Journal of Law and Economics 357 (1974).
33 Christopher W. Morris, An Essay on the Modern State 60–61 (1998).
34 Siehe William M. Landes and Richard A. Posner, „Adjudication as a Private Good,“ 6 Journal of Legal Studies 235 (1979).
35 Für die wahren Intellektuellen unter meinen Lesern, die einfach nicht akzeptieren können, dass Fakten ein perfektes theoretisches Modell untergraben dürfen, verweise ich auf David Schmidtz, The Limits of Government: An Essay on the Public Goods Argument (1991). Schmidtz erklärt, wie das Gewährleistungsproblem durch einen Gewährleistungsvertrag oder eine Geld-zurück-Garantie gelöst werden kann und wie das Trittbrettfahrerproblem auf eine relativ kleine Anzahl von Fällen beschränkt werden kann, in denen die Anwendung von Zwang zur Herstellung des öffentlichen Gutes ethisch fragwürdig ist.

 

(Dieser Artikel stammt aus dem Buch «Voluntarismus».)

Voluntarismus: Aufsätze, Texte und Zitate über die Freiheit

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