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Der Wettbewerb der Gauner

David Dürr – Basler Zeitung 26.03.2012

Hans-Hermann Hoppe: Der Wettbewerb der Gauner
Über das Unwesen der Demokratie und den Ausweg in die Privatrechtsgesellschaft

Hatten Sie auch schon Glaubenszweifel, ganz im Geheimen und mit schlechtem Gewissen gegenüber Gott? Ich meine natürlich nicht Gott im Himmel, den anzuzweifeln im aufgeklärten Westen längst kein Tabubruch mehr ist, sondern seinen Nachfolger auf Erden, der ihm punkto Heiligkeit in nichts nachsteht, nämlich den Staat, speziell den sogenannt demokratischen Staat. Hans-Hermann Hoppe jedenfalls hatte solche Glaubenszweifel, schon vor vielen Jahrzehnten, als er noch Schüler der linken Frankfurter Schule war, ihn aber immer mehr das Gefühl beschlich, mit dem etatistischen Katechismus stimme etwas nicht. Diese Zweifel sind ihm längst zur wissenschaftlich und ethisch fundierten Gewissheit geworden: „Demokratie – der Gott der keiner ist“ heisst das wohl bekannteste Buch von Hoppe. Heute blickt der bedeutende libertäre Sozialwissenschafter auf eine eindrückliche Professorenlaufbahn in den USA und auf ein umfangreiches wissenschaftliches Werk zurück. Zur Ruhe gesetzt hat er sich trotz Emeritierung nicht, er organisiert Tagungen, hält Vorträge und schreibt Bücher.

Das hier angezeigte ist eine Sammlung verschiedener Aufsätze von und Interviews mit ihm, dicht in den Aussagen, klar formuliert und – gar nicht politisch korrekt. Das Besondere an diesem Buch ist nicht einfach, dass es den Staat in anarchistischer Grundsätzlichkeit hinterfragt; nicht dass es die in der Wissenschaft sonst übliche Diplomatensprache beiseite lässt; auch nicht einfach dass es so eingeprägte Axiome wie das staatliche Gesetzgebungs-, Gewalt- und Justizmonopol widerlegt. Das wirklich Besondere an diesem Buch ist, dass all diese Unverfrorenheiten derart einfach und klar, mit teilweise ironischer Gelassenheit und ohne intellektuell verschnörkelten Gescheitigkeiten daherkommen. Hoppes Analyse ist so wahr, dass sie keine komplizierten Beweise und keine verbissenen Argumente braucht.

Starker Tobak ist sie allemal: Der real gelebte Staat ist nicht die Summe aller Menschen in einem Land, sondern eine relativ kleine Agentur, die sich für „ihr“ Territorium ein Letztentscheidungsmonopol herausnimmt. Begründet wird dieses offiziellerweise damit, dass es bei Streitfällen eine neutrale Urteils- und Durchsetzungsinstanz brauche. Weshalb nun aber figuriert dieser Staat als Urteils- und Durchsetzungsinstanz auch dann, wenn er selbst Partei ist, etwa wenn sich ein Bürger gegen Staatseingriffe wehren will? Oder etwa: Der Staat spricht von Wirtschaftsfreiheit und verpönt private Monopole. Weshalb nun aber kann man ungestraft „aufhören, Volkswagen-Autos oder Chanel-Parfums zu kaufen, wird … aber ins Gefängnis geworfen, wenn man aufhört für staatliche Schulen oder Universitäten oder den Pomp mancher Politiker zu zahlen“? Oder: Steuern sind Diebstahl. – Das ist nicht Mainstream, was ja nicht heissen muss, dass es falsch ist.

Hoppe analysiert nicht nur das Phänomen, sondern auch die Ursachen dieses „Wettbewerbs der Gauner“, und er lokalisiert sie im Drang ehrgeiziger Gesellschaftsmitglieder, möglichst viel von den Vorteilen dieser Monopolorganisation für sich abzuschneiden, sei es in Geld, Prestige oder politischem Einfluss in Bereichen, die sie nichts angehen. Flankiert wird dies durch eine ausgeklügelte Verschleierungs- und Ablenkungspropaganda gegenüber den Untertanen, denen nicht zuletzt staatlich bezahlte Intellektuelle darlegen, weshalb es richtig sei, dass man ihnen Freiheit, Verantwortung und Geld wegnimmt.

Doch genügt diese Erklärung? Können wirklich derart viele Menschen derart dumm sein? Der wichtigere Teil der Erklärung ist wohl eher bei Freud nachzulesen, gemäss dem die Seele unserer Spezies nach Unterwerfung geradezu dürstet, und dies nicht weil man ihr wohlklingende Theorien eines demokratisch legitimierten Staates vorgaukelt, sonder weil sie das zutiefst eingeübte Über-Ich noch so gern in eine umfassende Autorität extrapoliert, sei es in das Alphatier der Urhorde, in den allmächtigen Gott oder den allmächtigen Staat. Nun könnte man wiederum einwenden, eine derart innig ersehnte Unterwerfung sei doch ihrerseits zu respektieren, gerade aus liberaler Sicht. – Akzeptiert unter zwei Bedingungen: Erstens sind solche Selbstunterwerfungen generell zu respektieren, nicht nur gegenüber dem Staat, sondern auch gegenüber anderen Über-Ich-Organisationen, beispielsweise christlichen Kirchen, islamischen Religions- und Scharia-Gemeinschaften, Privatarmeen, Sekten oder Familienclans. Und zweitens darf niemand gegen seinen Willen zur Unterwerfung unter eine Über-Ich-Organisation gezwungen werden, weder unter eine Sekte, eine Scharia-Gemeinschaft noch unter jene, die sich „demokratischer Staat“ nennt.

Als Alternative propagiert Hoppe die Privatrechtsgesellschaft, mithin nicht ein chaotisches, sondern ein ordnendes Gesellschaftssystem: eine Rechtsordnung, die in Vielem der uns Vertrauten gleicht, bei welcher Konfliktlösungen, Hilfen beim Umgang mit Gewalt, Unterstützungen für schwache Gesellschaftsmitglieder zur Verfügung stehen, bloss mit dem Unterschied, dass kein Anbieter solcher Leistungen ein Recht darauf hat, Monopolist zu sein.

Und wie lässt sich der Übergang von der heutigen Staatsmonopol- zur dereinstigen Privatrechtsgesellschaft bewerkstelligen? Hoppe denkt an zweierlei: einerseits an beharrliche Aufklärungsarbeit – z.B. mit diesem Buch – und anderseits an den Staatskonkurs. Es sei nur noch eine Frage der Zeit, ob es in 5, 10 oder 15 Jahren soweit ist. Wer den Mut zur Sichtweise Hoppes hat, erwartet dieses Ereignis nicht mit Entsetzen, sondern mit hoffnungsvoller Spannung.

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