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Wie private Organisation die moderne Welt ermöglicht hat

Edward P. Stringham, Ph.D.

Edward Peter Stringham ist der Davis Professor of Economic Organizations and Innovation am Trinity College und Herausgeber des Journal of Private Enterprise.

Website Edward Peter Stringham

Was macht Märkte und insbesondere moderne Verträge möglich? Die meisten Sozialwissenschaftler, einschließlich eines hohen Prozentsatzes libertärer Wissenschaftler, beschreiben die Welt als einen Ort voller Gefangenendilemmas (für die Beteiligten wäre es besser, zusammenzuarbeiten, aber jeder Einzelne von ihnen hat einen Anreiz zum Betrug), die nur durch den Staat gelöst werden können. Israel Kirzner schlägt beispielsweise vor, dass Märkte eine „staatliche Durchsetzung außerhalb des Marktes“ benötigen, da ohne „Durchsetzbarkeit von Verträgen … der Markt nicht funktionieren kann“. In ähnlicher Weise stellt Mancur Olson fest, dass eine Gesellschaft ohne „Institutionen, die Verträge unparteiisch durchsetzen“, „die meisten Gewinne aus Transaktionen (wie denen auf dem Kapitalmarkt) verlieren wird, die eine unparteiische Durchsetzung durch Dritte erfordern“.1

In vielen Fällen haben Staatsangestellte jedoch nicht das Wissen, den Anreiz oder die Fähigkeit, Verträge oder Eigentumsrechte auf kostengünstige Weise durchzusetzen.2 Man denke an Parteien, die in Ländern der Dritten Welt Verträge abschließen, in denen Gerichtsverfahren mehr als ein Jahrzehnt dauern. Oder an Parteien in der ersten Welt, die einen Vertrag abschließen, bei dem Zeit eine Rolle spielt oder viel Geld auf dem Spiel steht. Wer will schon große Ressourcen für einen Prozess binden, der Monate oder Jahre dauern kann? Oder betrachten wir einen Austausch von geringem Wert, bei dem die Kosten für ein Gerichtsverfahren den Wert der Transaktion bei weitem übersteigen. Oder es handelt sich um eine Transaktion über politische Grenzen hinweg, was die Festlegung der Gerichtsbarkeit für einen Prozess erschwert. Die Inanspruchnahme von Gerichten oder staatlichen Vollstreckungsorganen ist zumindest zeit- und ressourcenaufwendig und in der Praxis sind ganze Kategorien von Verträgen nicht durchsetzbar.

Richter, Polizei und Aufsichtsbehörden sind ein deus ex machina. Der Staat ist oft dysfunktional und verdrängt private Ordnungsgeber, oder er ist schlichtweg nicht vorhanden oder zu teuer, um in Anspruch genommen zu werden. Das bedeutet, dass die Parteien entweder mit ihren Problemen leben oder versuchen können, sie zu lösen. In einigen Fällen wurden noch keine Lösungen gefunden oder sie sind zu schwierig umzusetzen. So ist das nunmal in dieser Welt. Aber oft ist die Lösung von Problemen eine Chance auf Profit und je mehr auf dem Spiel steht, desto rentabler sind die Lösungen. In der Geschichte gibt es viele Beispiele dafür, wie private Parteien davon profitieren, dass sie bessere Wege finden, um den Austausch zu erleichtern oder Eigentumsrechte zu schützen. Dieser Schutz des Marktes kam nicht durch den Staat zustande, sondern durch den Markt.

In seiner Clubtheorie argumentierte James Buchanan, dass wir nicht davon ausgehen sollten, dass Güter entweder private Güter für eine Person oder öffentliche Güter für alle in der Gesellschaft sein müssen, sondern dass ein großer Teil der Güter Clubgüter sind, die irgendwo dazwischen liegen.3 Eine der wichtigsten, aber unterschätzten Arten von Clubgütern ist die private Governance, die verschiedenen Formen der privaten Durchsetzung, Selbstverwaltung oder Selbstregulierung unter privaten Gruppen oder Einzelpersonen, die eine Lücke füllen, die der Staat nicht schließen kann. Ein Country Club oder ein Nachtclub bieten nicht nur einen physischen Raum für die Freizeitgestaltung, sondern es gelten darin auch Regeln für den Zutritt und das Verhalten. Das Gleiche gilt für Geschäfts- und Wohnräume, Einkaufszentren, Wohnanlagen, Börsen und Finanzintermediäre. eBay beispielsweise ist ein Club, der den Handel durch Reputationsmechanismen und Streitbeilegungsdienste erleichtert. Er bewertet die Grenznutzen und Grenzkosten verschiedener Regeln oder Streitbeilegungsmechanismen und versucht, seinen Markt so attraktiv wie möglich zu gestalten. American Express ist ein weiterer Club, der dazu beiträgt, dass die Verbraucher das bekommen, wofür sie bezahlen und dass die Händler für ihre Güter bezahlt werden. Den meisten Menschen ist nicht klar, dass ihre Kreditkarte einen Club darstellt, der Regeln durchsetzt. Ein Händler, der seinen Kunden zu viel berechnet, oder ein Kunde, der seine Rechnungen nicht bezahlt, wird aus dem Club ausgeschlossen und das fördert ehrliches Verhalten.

Private Governance trägt zum Schutz von Eigentumsrechten und zur Erleichterung des Handels bei, von den einfachsten bis hin zu den fortschrittlichsten Märkten der Welt. Sie funktioniert auf Märkten, auf denen der Staat theoretisch Verträge durchsetzen kann und auf denen der Staat sich ausdrücklich weigert, Verträge durchzusetzen. Sehen wir uns ein paar Beispiele an.

Auf allen großen Aktienmärkten der Welt betrachteten Staatsbeamte einen Großteil des Handels als eine Form des Glücksspiels oder der Spekulation, um die Preise zu manipulieren. Auf dem wichtigsten Aktienmarkt im Amsterdam des 17. Jahrhunderts setzte der Staat ausschließlich die einfachsten Wertpapierverträge durch. Nach der Gründung der Niederländischen Ostindien-Kompanie im Jahr 1602 entstand ein Sekundärmarkt für Aktien unter den Börsenmaklern, die sich auf den Aktienhandel spezialisierten. Offiziell wurden diese Märkte schnell verboten, doch die Börsenmakler setzten ihren Handel fort und entwickelten viele ausgeklügelte Transaktionen wie Termingeschäfte, Leerverkäufe und Optionen. Wie ist das möglich? Statt auf formale Regeln setzten die Broker auf Reziprozität und Reputationsmechanismen, um die Einhaltung der Verträge zu fördern. Im Gegensatz zum Gefangenendilemma sind die meisten Geschäfte wiederkehrend und die Börsenmakler mussten zuverlässig sein, wenn sie wollten, dass andere mit ihnen Geschäfte machten. Ein Vertragsbrecher würde nicht nur die Beziehung zu seinem Handelspartner sabotieren, sondern auch von allen anderen boykottiert werden, die davon erfahren. Die Reputation diente also als Ersatz für formale Regeln. Der Markt war äußerst erfolgreich und trug zur Finanzierung des Goldenen Zeitalters der Niederlande bei. Manche Schätzungen beziffern die Marktkapitalisierung der Niederländischen Ostindien-Kompanie auf einen heutigen Gegenwert von 7 Billionen Dollar. Moderne New Yorker können sich bei der Niederländischen Ostindien-Kompanie für die Finanzierung von Henry Hudsons erster Reise zum New Yorker North River (dem Hudson River) und der Niederländischen Westindien-Kompanie für die Gründung von New Amsterdam (New York) bedanken.4

Im Aktienmarkt in England gab es viele ähnliche Entwicklungen. Im 18. Jahrhundert verbannten die Londoner Behörden die Börsenmakler von der Royal Exchange und weigerten sich, die meisten Verträge durchzusetzen. Der Markt funktionierte jedoch weiter und die Makler trafen sich in den Kaffeehäusern der Change Alley. Adam Smith beschrieb, wie Zeitverträge (Termingeschäfte) nicht durchsetzbar waren, aber die Menschen sie dennoch abschlossen und sich daran hielten. Er erklärte: „Ein Händler hat Angst, sein Gesicht zu verlieren und achtet peinlich genau auf die Einhaltung jeder seiner Verpflichtungen. Wenn jemand an einem Tag 20 Verträge abschließt, hat er keine Vorteile vom Versuch, seinen Nachbarn über den Tisch zu ziehen, denn schon der Anschein eines Betrugs würde ihn verlieren lassen“. Wenn jemand nicht bezahlte, bezeichneten die Makler ihn als lahme Ente und irgendwann begannen sie, die Namen der säumigen Zahler an eine Tafel zu schreiben. Später beschlossen die Makler, das Jonathan’s Coffeehouse in einen privaten Club umzuwandeln, der Regeln aufstellen und durchsetzen konnte. Der Club, der später unter den Namen New Jonathan’s, The Stock Subscription Room und später The Exchange oder The Stock Exchange bekannt wurde, hatte bestimmte Bedingungen für die Mitgliedschaft und es galten klare Regeln für den Umgang mit Zahlungsausfällen. Sein Motto lautete: „Mein Wort gilt“.

Eine ähnliche Geschichte konnte man etwa ein Jahrhundert später in New York beobachten. Die ersten Börsenmakler trafen sich in der Tontine Tavern and Coffeehouse, die 1797 eine „Constitution and Nominations of the Subscribers“ verabschiedeten. 1817 gründeten andere das New York Stock and Exchange Board, d. h. die New Yorker Börse, die formellere Anforderungen an die Mitgliedschaft und Regeln hatte. Die Makler erweiterten die Regeln im Laufe der Jahre und in den 1860er Jahren wurden nicht nur diejenigen, die ihre Verträge nicht einhielten, auf die schwarze Liste gesetzt, sondern es gab auch Regeln gegen „unanständige Sprache“ (sie führte zu einer einwöchigen Sperre), Geldstrafen für „Rauchen im Sitzungssaal oder in den Vorräumen“ (fünf Dollar) und für „Stehen auf Tischen oder Stühlen“ (ein Dollar). Bis 1865 betrug die Aufnahmegebühr 3.000 Dollar und ab 1868 wurde der Sitz im Vorstand zu einem wertvollen Eigentumsrecht, das an potenzielle Mitglieder verkauft werden konnte. Außerdem wurden Anforderungen für die Börsennotierung von Unternehmen eingeführt, die an der „großen Tafel“ gehandelt werden wollten. Die New Yorker Börse musste stets um Geschäfte konkurrieren und stand im Laufe der Jahre im Wettbewerb mit dem Open Board of Brokers (das 1869 mit der New Yorker Börse fusionierte), dem Curb Market und dessen formellerem Ableger, der New York Curb Exchange (gegründet 1921 und 1953 in American Stock Exchange umbenannt), die Consolidated Stock Exchange of New York (gegründet in den 1880er Jahren) sowie regionale Börsen wie die Boston Exchange und die Philadelphia Stock Exchange (gegründet 1834 bzw. 1754, letztere im Londoner Kaffeehaus), die die moderne Welt erst möglich machten. Indem sie ein Regelwerk schufen, das die Aktienmärkte für Investoren attraktiver machte, trugen sie zur Finanzierung des Wachstums der amerikanischen Wirtschaft bei.

In der heutigen Zeit werden die größten und fortschrittlichsten Märkte ebenfalls durch private Governance unterstützt. Man denke nur an Derivatkontrakte, von denen einige ein unbegrenztes Verlustrisiko mit sich bringen können. Selbst das beste Rechtssystem könnte keine unendlich hohen Beträge eintreiben. Selbst wenn der Nominalwert der über die Chicago Mercantile Exchange, das Chicago Board of Trade und die New York Mercantile Exchange gehandelten Kontrakte 10 Billionen Dollar pro Jahr übersteigt, laufen die Verträge reibungslos ab. Wenn zwei Parteien einen Handel über diese Börsen abschließen, schließen sie nicht wirklich einen Vertrag miteinander, sondern separate Verträge mit der Terminbörse. Die Terminbörse fungiert als Vermittler und übernimmt und verwaltet die Risiken für ihre Kunden. Anstatt das Zustandekommen eines Vertrags zuzulassen und dann zu versuchen, ihn im Nachhinein durchzusetzen, gibt es verschiedene Regeln und Nachschussanforderungen, die festlegen, welche Geschäfte getätigt werden können. Durch das Risikomanagement dieser Börsen entfällt die „Notwendigkeit“, diese Verträge vor Gericht durchzusetzen.

Auch andere Finanzvermittler übernehmen und verwalten Risiken im Namen der Kunden. Bei Geschäften mit PayPal oder den meisten Kreditkartenunternehmen werden Betrüger entlarvt, wenn sie Transaktionen durchführen oder versuchen, Geld von einem Konto abzuheben. Im Jahr 2001 stahlen Betrüger monatlich mehr als 10 Millionen Dollar von PayPal und das zu einem Zeitpunkt, als der Bruttojahresumsatz des Unternehmens nur 14 Millionen Dollar betrug. Zunächst wandte sich PayPal an das FBI und stellte fest, dass das nichts brachte. Nachdem es die Beweise gesehen hatte, stellte das FBI Fragen wie „Was ist ein Werbebanner?“. Die Regierungsbeamten waren nicht auf dem neuesten Stand der Technik, aber selbst wenn sie es gewesen wären, wären sie gegen anonyme Betrüger auf der anderen Seite des Globus machtlos gewesen. Anstatt darauf zu hoffen, dass die Regierung die Probleme löst, entwickelte PayPal private Lösungen, um Betrug zu bekämpfen, bevor er entsteht. Sie entwickelten künstliche Intelligenz mit menschlicher Unterstützung, um Konten zu überwachen, verdächtige Aktivitäten festzustellen und Konten vorübergehend oder dauerhaft zu sperren. Durch die Übernahme und das Management von Risiken im Namen der Kunden verwandelte PayPal das, was viele Menschen für rechtliche Fragen halten, in Fragen des Risikomanagements. Wenn die Parteien Probleme ex ante lösen können, entspricht die Durchsetzung von Verträgen ex post nicht mehr der „Notwendigkeit“, von der Theoretiker wie Kirzner oder Olson ausgehen.

Private Governance schafft Ordnung. Nicht nur auf einfachen Märkten, sondern auch auf den anspruchsvollsten Märkten der Welt, einschließlich der Aktienmärkte, der Terminmärkte und des elektronischen Geschäftsverkehrs. Private Governance war für die Entstehung von Aktienmärkten und des modernen Kapitalismus äußerst bedeutend. Das allerdings ist nur den wenigsten bewusst. Private Governance schützt auch Verträge und Eigentumsrechte auf zahlreichen anderen Märkten. Sie findet sich in antiken und modernen Gesellschaften, in kleinen und großen Gruppen, unter Freunden und Fremden, bei einfachen und äußerst komplexen Transaktionen. Sie existiert oft neben und in vielen Fällen trotz der rechtlichen Bemühungen der Regierung. Weitere Beispiele sind in meinem Buch Private Governance: Creating Order in Economic and Social Life beschrieben, erschienen bei der Oxford University Press.

Friedrich Hayek benutzte das Wort „Wunder“, um das Preissystem und seine Rolle bei der Koordinierung der Interaktionen verschiedener Individuen zu beschreiben.5 Die Mechanismen der privaten Governance sind ebenso wundersam und für die Schaffung von Ordnung auf den Märkten verantwortlich. Thomas Paine schreibt:

Ein großer Teil der Ordnung, die unter den Menschen herrscht, ist nicht das Ergebnis der Regierung. Sie hat ihren Ursprung in den Prinzipien der Gesellschaft und der natürlichen Verfassung des Menschen. Sie existierte schon vor der Regierung und würde auch bestehen, wenn die Formalitäten der Regierung abgeschafft würden. Die gegenseitige Abhängigkeit und das wechselseitige Interesse, des einen Menschen vom anderen und aller Teile der zivilisierten Gemeinschaft voneinander, bilden die große Verbindungskette, die sie zusammenhält.6

 

Die Analogie der unsichtbaren Hand in der Ökonomie wirft ein Licht auf unterschätzte Prozesse der Verhaltenssteuerung und die Untersuchung der privaten Governance wirft ein Licht auf ähnlich unterschätzte Mechanis- men zur Herstellung von Ordnung. Private Governance arbeitet hinter den Kulissen, so dass die meisten Menschen sie nicht bemerken, aber sie macht die moderne Welt möglich.

1 Kirzner, Israel M. 2000. Die treibende Kraft des Marktes: Essays in Austrian Eco- nomics. New York: Routledge, S. 83. Olson, Mancur. 1996. „Big Bills Left on the Sidewalk: Warum einige Nationen reich und andere arm sind”. Journal of Economic Perspectives, 10(2): 3–24, 22.
2 Galanter und Williamson bezeichnen die verbreitete Weltanschauung, dass jegliche Zusammenarbeit und jeder Handel von der Durchsetzung durch Dritte abhängt, als rechtlichen Zentralismus. Galanter, Marc 1981. „Justice in Many Rooms: Courts, Private Ordering, and Indigenous Law.” Journal of Legal Pluralism, 19: 1–47. Williamson, Oliver E. 1983. “Credible Commitments: Using Hostages to Support Exchange.” American Economic Review, 73(4): 519–40.
3 Buchanan, James M. 1965. „An Economic Theory of Clubs“. Economica, 32: 1–14. 118
4 Diese Absätze stammen aus den Untersuchungen in meinem Buch: Edward Stringham. 2015. Private Governance: Creating Order in Economic and Social Life. New York and Oxford: Oxford University Press.
5 Hayek, Friedrich A. 1945. „The Use of Knowledge in Society“. American Econo- mic Review, 35(4): 519–530.
6 Paine, Thomas. 1791 [1906]. Rights of Man. London: J. M. Dent, S. 84.

 

(Dieser Artikel stammt aus dem Buch «Voluntarismus».)

Voluntarismus: Aufsätze, Texte und Zitate über die Freiheit

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